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Prozess in eisiger Winternacht

Gericht stellt Tötung des »Outlaw«-Mitglieds Willi B. am Tatort nach

Von Christian Althoff und
Stefan Hörttrich (Fotos)
Espelkamp (WB). Strafprozess unter freiem Himmel: Sieben Monate, nachdem Willi B. (30) aus Espelkamp Opfer des Bandenkrieges zwischen den »Bandidos« aus Osnabrück und den »Outlaws« aus Löhne geworden war, hat das Landgericht Osnabrück in der Nacht zum Mittwoch in Wallenhorst einen Ortstermin am Tatort durchgeführt.
Barbara Havliza ist die Vorsitzende Richterin.
»Bandidos«-Präsident Wolfgang E. und sein Strafverteidiger Jens Meggers am Tatort.

Es ist stockdunkel, als die Vorsitzende Richterin Barbara Havliza um 20 Uhr die Verhandlung eröffnet. Die Prozessbeteiligten frösteln vor dem rotverklinkerten Reihenhaus des »Bandidos«-Präsidenten Wolfgang E. (45), der hier am frühen Morgen des 16. Juli das »Outlaw«-Mitglied Willi B. (30) erschossen hatte. Mit dem Ortstermin will sich das Gericht einen Eindruck von den Sichtverhältnissen in jener Nacht verschaffen. Vor Prozessbeginn haben Polizeihunde die Gärten in der Nachbarschaft durchstöbert, jetzt sichert eine Polizeihundertschaft die Gerichtsverhandlung. Denn noch immer wird befürchtet, dass sich die »Outlaws« für den Tod ihres Freundes rächen könnten.
Zum Auftakt der Verhandlung schildert ein Rocker aus Löhne, wie er in jener Nacht einen »Outlaw«-Aufkleber an die Haustür des »Bandidos«-Präsidenten geklebt und wütend vor die Tür getreten hatte. »Als sich drinnen nichts rührte, sind wir wieder zu unserem Wagen gegangen, der 50 Meter weiter stand«, sagt der Zeuge, dessen Atem in der kalten Winterluft kondensiert. Der Mann war damals in der warmen Julinacht mit drei weiteren »Outlaws« nach Wallenhorst gefahren, weil »Bandidos«-Präsident Wolfgang E. am Abend zuvor das neue Quartier der »Outlaws« in Osnabrück mit einem Aufkleber des eigenen Motorradclubs versehen hatte. Und das wollten sich die Löhner nicht bieten lassen.
»Wir hatten fast unser Auto erreicht, als plötzlich Schüsse fielen«, erinnert sich der Zeuge. Erst da habe er bemerkt, »dass Willi fehlte.« Er sei zurückgelaufen und habe gesehen, wie sein Freund am Boden gelegen und der »Bandidos«-Präsident mit einer Pistole über ihm gestanden habe. »Hier war das«, sagt der Zeuge und zeigt auf die Straße.
Während der Mann Nachfragen der Vorsitzenden Richterin beantwortet, zünden sich einige Prozessbeteiligte verstohlen eine Zigarette an und treten von einem Bein aufs andere. Längst hat die eisige Kälte die Schuhsohlen durchdrungen. Auch der angeklagte »Bandidos«-Präsident, der von einem Polizisten bewacht wird, zieht nervös an seiner Marlboro. Dann ist er an der Reihe. »Ich hatte Angst, als ich das Poltern an der Tür hörte, und bin mit meiner Pistole rausgegangen«, sagt er aus. Er habe sich nach links gewandt und sei etwa 20 Meter die Straße hinuntergegangen. »Ich habe aber niemanden entdecken können. Als ich mich umgedreht habe, um zurück zum Haus zu gehen, sah ich plötzlich aus der Dunkelheit heraus einen Schatten mit einem Knüppel in der Hand auf mich zufliegen. Da habe ich geschossen.« Zwei Kugeln trafen Willi E. Seine Freunde hatten ihn zwar noch ins Krankenhaus geschafft, doch der 30-Jährige konnte nicht mehr gerettet werden.
Tapfer notiert der Protokollführer den Verlauf der Verhandlung. Seine Finger sind beinahe steifgefroren, und in der Dunkelheit kann er nicht erkennen, was er niederschreibt. »Hauptsache, ich kann's morgen lesen und abtippen«, schmunzelt er, als sich die Richterin gegen Schluss der Verhandlung nach dem Protokoll erkundigt. Als der Ortstermin um 21.45 Uhr endet, sind die Anwälte des Angeklagten zufrieden. Ihre Version, nach der Wolfgang E. aus der Dunkelheit heraus angegriffen worden war und aus Notwehr geschossen hatte, erscheint nachvollziehbar. »Möglicherweise ist Willi B. tatsächlich hinter einem Busch hervorgesprungen«, sagt die Richterin nachdenklich.

Artikel vom 24.02.2005