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Die Schlinge
um den Hals

Schlips bleibt Mannes Zierde

Von Jan Staiger
Berlin (ddp). »Ein Mann ist soviel wert wie seine Krawatte«, gab der Romancier Honoré de Balzac einmal zu bedenken. So gesehen ist es heute um die Herrenwelt nicht gut bestellt.
Stets Krawatte: TV-Moderator Johannes B. Kerner. Foto: AP

Die Anhänger des einzigen Schmuckelements der Herrenbekleidung schlagen Alarm: Innerhalb der vergangenen zehn Jahre hat sich der Schlips-Absatz in Deutschland halbiert. Nur noch etwa zehn Millionen Krawatten wurden 2004 nach Branchenangaben verkauft. »Doch die Krawatte ist noch lange nicht tot«, sagt Gerd Müller-Thomkins, Geschäftsführer des Deutschen Mode-Instituts in Köln.
Spötter haben es ja immer gewusst: Krawatten sind nicht nur völlig unnütz, sondern auch ständig im Weg - beim Hände waschen oder Suppe essen zum Beispiel. Doch der Modeexperte lässt keinen Zweifel: »Die Krawatte ist ein unverzichtbares Requisit im männlichen Modeuniversum.« Zwar werde sie nicht mehr so massenhaft gekauft wie früher, aber gerade der »selektive Griff« steigere den Stellenwert.
Der Siegeszug des modernen Schlipses begann der Überlieferung nach 1660 mit einem Triumphzug kroatischer Söldner durch Paris. Ihre reich verzierten, am Kragen gebundenen Halstücher (»hravatska«) begeisterten den Sonnenkönig Ludwig XIV. dermaßen, dass er sie gleich bei Hofe einführte. Der Halsschmuck wurde in ganz Europa populär und entwickelte sich zum heutigen Langbinder.
Rückschläge gab es seitdem immer wieder. Die »68er« etwa denunzierten die Krawatte als »Zopf des Spießertums«. Später gehörte sie wieder zum guten Ton, um dann in der krawattenlosen New-Economy-Zeit der 90er erneut ausgemustert zu werden. »Heute ist die Krawatte wieder ein Schmuckelement und wird mit Stolz getragen«, sagt Müller-Thomkins. Bewusster denn je werde sie gewählt, als Zeichen von Ästhetik, Seriosität, aber auch als Ausweis für Befindlichkeit und Lebensstil. Leider sei aber nur jeder vierte Mann durch Alter oder Beruf ein potenzieller Krawattenträger, und jeder aus dieser Gruppe lege sich nur einmal im Jahr einen neuen Schlips zu. Vier bis sechs lägen im Schrank. Eigentlich aber sei die Krise der Krawatte gar nicht männerverschuldet: Zwei von drei Langbindern werden nämlich von Frauen gekauft.
»Die Krawatte ist schon oft totgesagt worden«, gibt sich Mode-Kenner Müller-Thomkins gelassen - aber Totgesagte leben ja länger.

Artikel vom 26.02.2005