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Bahnen und Viadukte lenkten den Feuersturm auf Westfalen

Monsterbomben lassen die Erde bei Schildesche und Altenbeken beben

Von Reinhard Brockmann
Bielefeld (WB). »Die Dome von Minden, Paderborn, Soest und Hildesheim sind an den Bahnhöfen zugrunde gegangen«: Jörg Friedrich, der unumstrittene Chronist des Bombenkriegs, erklärt mit diesem leidenschaftslosen Satz, warum Ostwestfalen-Lippe noch kurz vor dem Kriegsende ins Visier der britischen und amerikanischen Bomber geriet.
WESTFALEN-BLATT-SerieFolge 8
Die Bahnlinien vom Ruhrgebiet nach Berlin und Mitteldeutschland, vor allem die Viadukte und - nach deren Unterbrechung - Umleitungen über Herford, waren es, die die Luftstrategen auf den Plan riefen. Die in England startende Luftarmada entfesselt zugleich den gefürchteten Feuersturm, wo immer alte, enge Innenstädte Raub der Spreng- und Brandbomben werden konnten. So nahmen es die Opfer wahr.
Von drei »Teppichangriffen« schreibt Pfarrer Herman Bieker, der am 17. Januar 1945 den ersten ganz großen Angriff auf Paderborn erlebte. Es ging um mehr als Gleise und Stellwerke. Eine Fläche wurde bombardiert. Bieker: »Mehrere Geschwader folgen in bestimmten Abständen. Jedes löst gleichzeitig sämtliche Bomben«.
Ergänzend gab es die gezielten Angriffe auf den Schildescher Viadukt bei Bielefeld - seit Jahresbeginn 1945 fast täglich - und auf die beiden Viadukte bei Altenbeken. Der große, mit seinen 24 gewaltigen Bögen, hatte schon Ende November einen Volltreffer abbekommen. Soldaten auf Weihnachtsurlaub von der Ostfront erinnern sich, dass Busse pendelten zwischen dem Altenbekener Bahnhof und wenigen jenseits der Lücke wartenden Zügen. Am 22. Februar 1945 wurde der gerade notdürftig reparierte Viadukt endgültig zerstört.
16 Lancaster-Maschinen mit 5,2 Tonnen schweren »Tallboys«, berichtet Ortsheimatpfleger Rudolf Koch, hätten um 16 Uhr das Beketal angesteuert. Vernichtet wurden die provisorische Reparatur, ein weiterer Brückenpfeiler und ein Schutzstollen für Brückenbauarbeiter. Der konnte erst nach elf Tagen freigelegt werden. 18 Tote und ein schwer verletzter Ukrainer wurden geborgen.
Über der schon am 26. November 1944 eingerichteten Umleitung via Herford entlud die 8. Luftflotte in den folgenden Wochen 71 Tonnen Bombenlast. Der alliierte »Ruhrplan« sah außerdem die Zerstörung von 16 Brücken vor. Zusätzlich wurden Tiefflieger gegen Züge und Engstellen eingesetzt. Friedrich berichtet die Geschichte des Bielefelder Rektors Vormbrok, der am 7. März auf der Zugfahrt nach Brackwede von Bordmaschinenkanonen unter Feuer genommen wurde. Dennoch an seinem Ziel, dem Friedhof, angekommen, geriet er wieder unter Feuer, diesmal als Trauender im Leichenzug. Es gab keine Trennung zwischen Zug und Zug.
Noch mehr Sprengkraft verwendeten die Angreifer auf den Schildescher Viadukt zwischen Bielefeld und Herford. Mit einer 7,5 Meter langen und elf Tonnen schweren Bombe lösten sie am 14. März ein regelrechtes Erdbeben aus, das den dauerbombardierten Übergang einfach umfallen ließ. Aus Altenbeken ist ein Bombentrichter von 30 Metern Durchmesser dokumentiert. Für Schildesche hatte es einen Test in New Hampshire gegeben. Das Bombenmonstrum, abgeworfen aus 4500 Metern Höhe, riss dabei ein Loch von 37 Metern Ausdehnung und neun Metern Tiefe.
Bieker berichtet, dass die Paderborner sich nicht anders als die Dresdner auch einredeten, ihre Stadt werde wegen der großen Kulturschätze und geringen strategischen Bedeutung verschont. Zugleicht herrschte in ganze Westfalen »bodenlose Angst« angesichts immer neuer Vor- und Vollalarme. In seinem gleich nach Kriegsende veröffentlichten Text schreibt Bieker: »Indessen versuchte die heilige Kirche, die letzte und entschiedenste Vorsorge zu treffen, den Menschen den eigentlichen ÝFluchtwegÜ freizulegen, indem sie immer wieder aufrief, sich allezeit bereit zuhalten für den Ruf Gottes zur Ewigkeit.«

Artikel vom 23.02.2005