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Die Leiden der
alten AthletenVon Oliver Kreth


Das Wartezimmer des Dr. jur. im Sindelfinger Glaspalast war nur spärlich gefüllt. Nur fünf Athleten nahmen die persönliche Sprechstunde, die der nationale Ober-Leichtathlet Clemens Prokop eingerichtet hatte, wahr. Trotz oder gerade wegen der Peking-Kader-Problematik.
Einige Spitzenkräfte sind wegen der neuen Förderstruktur sprachlos, denn viele DLV-Asse wurden aus diesem exklusiven Perspektiv-Gremium ausgeschlossen. »Ich fühle mich nicht richtig geschätzt, obwohl ich seit zehn Jahren in der Weltspitze bin und mir für den Verband den A... aufreiße«, klagte etwa Steffi Nerius, die 32-jährige Olympia-Zweite im Speerwurf.
Während die Leverkusenerin nur im A-Kader ihr Athleten-Leben fristet, fanden die Olympia-Zweite im Kugelstoßen, Nadine Kleinert, der WM-Dritte von 2003 im Gehen, Andreas Erm, oder die Stabhochspringer Danny Ecker und Lars Börgeling als Olympia-Fünfter bzw. -Sechster Aufnahme in den Top-Kader für die Sommerspiele 2008.
Öffentliche Kritik an der Einteilung übte auch Hürdensprinterin Kirsten Bolm, die den deutschen Hallen-Titel mit der Weltklassezeit von 7,93 Sekunden gewann, an der Auswahl des 56 Athleten großen Edel-Kaders. »Ich habe das Gefühl, dass die über 25-Jährigen auf ein Abstellgleis gestellt werden. Das gibt keine große Motivation«, sagte die Medaillenhoffnung für die Hallen-EM Anfang März in Madrid. Auch die von ihr geschlagene Nadine Hentschke, immerhin erst 22, äußerte ihre Enttäuschung: »Ich fühle mich ausgeschlossen. Doch ich sage mir auch: Jetzt erst recht.«
Doch anders als bisher scheint der Deutsche Leichtathletik-Verband schneller auf die Kritik derer zur reagieren, die er vertritt. So sprach der neu installierte Cheftrainer bereits mit den zuletzt nicht sonderlich erfolgreichen Assen wie Grit Breuer, Ingo Schultz oder Nils Schumann. »Wir sind auch auf die alten Athleten angewiesen, wollen sie nicht entsorgen«, beschwichtigt Jürgen Mallow. Wobei die Nichtnominierung auch als trainingsmethodisches Mittel angesehen wird. Dass mehr so denken wie Hentschke, hofft nicht nur Eike Emrich, der zukünftige Vizepräsident Leistungssport.
Für den Dauerzögerer Prokop gibt es nach der Talfahrt der vergangenen Jahre sowieso keine Alternative zum neuen Konzept: »Strategisch haben wir keine andere Wahl, als auf Jugend zu setzen. Es ist eine Überlebensfrage. Denn die Bundesmittel werden nach Peking 2008 vergeben.«
Doch etwas mehr Fingerspitzengefühl hätten Prokop und Co. doch walten lassen können. So wurde der Kugelstoß-Olympiasiegerin von Atlanta, Astrid Kumbernuss, lapidar in einem Brief mitgeteilt, nicht mehr zum A-Kader zu gehören. »Das hat mich sehr geärgert«, klagte sie nach ihrem vierten Hallen-Titelgewinn und kündigte ihren Rücktritt nach der WM im August in Helsinki an. Starker DLV, wenn man auf solche Athleten verzichten kann.

Artikel vom 02.03.2005