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Leitartikel
Von SPD direkt zur CDU

Viele haben nur eine Wahl: Arbeit


Von Reinhard Brockmann
Nur eine große Koalition käme für Schleswig-Holstein infrage, wenn es wirklich darum ginge, dass Wahlsieger Peter Harry Carstensen (CDU) endlich eine Frau zur Seite stünde. Darum geht es zwar nicht, aber genau auf diesem Niveau ist vor der Wahl bundesweit diskutiert worden.
Am Tag nach einer dermaßen turbulenten Wahlnacht, dass die deutschen Zeitungen - diese eingeschlossen - vom extrem späten Endergebnis genasführt wurden, klärt sich erst langsam der Blick fürs »Gerade noch« und »Knapp daneben«.
Wer am Ende in Kiel regiert, ist noch nicht absehbar. Klar, dass die Union den Ministerpräsidenten stellen will. Als stärkste Fraktion steht ihr dieser Anspruch zu. Moralisch fraglicher ist dagegen, ob der Südschleswigsche Wählverband (SSW) aufgrund seiner Sonderstellung überhaupt Forderungen stellen darf, die über die geschützte Klientel hinausgehen. Kurzum: Skandinavische Gesamtschulen für die dänische Minderheit wären legitim, mehr nicht.
»Umfragewerte für CDU-Herausforderer Carstensen im Keller« überschrieb noch vor einer Woche die Agentur AP einen ziemlich traurigen Bericht über den vermeintlich schon verlorenen Kampf des Nordfriesen »in seinem alten Bauernhaus gleich hinterm Deich auf der Halbinsel Nordstrand«.
Starke Gewinne der CDU, starke Verluste der SPD: Das ist das eigentlich überraschende Ergebnis dieser Wahl. Nicht die Personen-Perspektive »Harry oder Heide«, nicht Fischers große Visa-Freiheit und auch nicht die peinliche Brautschau des CDU-Mannes im vergangenen Jahr: Ihre Wahl haben die Schleswig-Holsteiner allein und souverän getroffen.
Man kann nur vermuten, dass ein TV-Duell der beiden Spitzenkandidaten im Regionalfernsehen die Unionskompetenz noch einmal unterstrichen hat. Sicher ist, dass die SPD bei den Arbeitern 13 Prozentpunkte und bei den Arbeitslosen 12 Punkte gegenüber 2000 einbüßte. Und: Der Union wird in Sachen Arbeit deutlich mehr vertraut. Bemerkenswert ist schließlich, dass sich niemand verdummen ließ von der jüngsten NPD-Debatte, die ein fatales Signal aussandte: Arbeitslose müssen NPD wählen, damit die Etablierten wach werden.
Bielefelds Christdemokratische Arbeitnehmer rieten gestern ganz unspektakulär, mal die 60 000 Empfänger von Arbeitslosengeld I, Arbeitslosengeld II (Hartz IV-Regelung) oder Sozialgeld allein in der Stadt am Teuto in den Blick zu nehmen. Wer jeden Cent dreimal rumdrehe und oft keine 30 Tage über die Runden komme, der habe nur eine Wahl: richtige Arbeit. Weder Ich-AG noch Ein-Euro-Job ersetzen Vollarbeit und nehmen die berechtigte Angst vor Altersarmut.
In NRW sind eine Million Menschen ohne Arbeit, hierzulande ist der Anteil alter Menschen höher als in Schleswig-Holstein. Alles Punkte, die Rüttgers und Co. schon zu früh jubeln lassen könnten. So gesehen bedeutet »knapp daneben« in Kiel »Volltreffer« an Rhein und Ruhr.

Artikel vom 22.02.2005