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»Unfallopfer« steht
als Krüppel vor Gericht

Prozess gegen Frührentner und seine drei Komplizen

Von Uwe Koch und
Stefan Hörttrich (Fotos)
Bielefeld (WB). Stockend, mit Tränen in den Augen und gepresster Stimme erinnerte sich Frührentner Heinrich J. gestern an die grauenvollsten Sekunden seines Lebens: »Es knirschte, die Knochen krachten.« Der 55-Jährige hatte sich absichtlich überfahren lassen, um von Versicherungen 750 000 Euro abzukassieren.

Seine unglaubliche Geschichte erzählte der gelernte Landschaftsgärtner gestern vor dem Landgericht Bielefeld. Seine Mitangeklagten sind seine ehemalige Freundin, deren heutige Geliebte sowie ein Freund.
Volle Zuschauerbänke, Film- und Fotokameras bildeten das Spalier, als die vier Angeklagten im Schwurgerichtssaal Platz nahmen. Dieter Fels, Vorsitzender Richter der 2. Großen Strafkammer, sorgte in dem auf fünf Tage angesetzten Verfahren gleich für klare Verhältnisse: Er verwarnte die Angeklagte Christiane G., weil die 46-jährige Sozialtherapeutin zu spät im Gerichtssaal erschien. Die Frau soll mit ihrer Lebensgefährtin Birgit K. (39) Nutznießerin des schier unglaublichen Versicherungsbetrugs gewesen sein.
Im Februar und im April 2001 soll Birgit K. Anstifterin zu den perfiden Taten gewesen sein. Sie soll ihren damaligen Lebensgefährten zur Teilnahme an den inszenierten Unfällen getrieben haben. Nach Abschluss von zwei Versicherungsverträgen legte sich der ihr hörige Mann zunächst in Werther auf die Straße, ließ sich von Birgit K. mit einem Opel Kadett an einer Bordsteinkante überfahren. Nach einem Krankenhausaufenthalt stand fest: »Die Verletzungen reichten nicht, da musste noch was passieren«, erinnert sich Heinrich J. gestern.
Dabei hatten die Betrüger Pläne, wie sie nur aus einem drittklassigen Horrorfilm stammen können: Heinrich J. ging mit einer Kettensäge in einen Bielefelder Wald, sollte sich selbst unter Einfluss einer Haschischzigarette den Fuß abtrennen. Komplize Gerhard J. (46) sollte die Motorsäge wegtragen, während das Opfer 100 Meter mit blutendem Stumpf an die Straße robben sollte, um von dort Rettungskräfte zu alarmieren. Das Vorhaben wurde aufgegeben. Stattdessen wurde der Landschaftsgärtner ein weiteres Mal mit einem Auto überrollt. Dieses Mal brachen der linke Unterschenkel und das Fußgelenk so brutal, dass der Mann für immer gehbehindert bleiben wird. Heinrich J. wehleidig: »Ich bin ein Krüppel.«
Noch viel schlimmer ist: Von dem Geld hat er bis auf wenige tausend Euro keinen Profit gehabt. Nach den Ermittlungen von Oberstaatsanwalt Rainer Kahnert gab es zwischen den Betrügern nach Ausszahlung der Versicherungssummen so heftigen Streit, dass Birgit K., Heinrich J. und Gerhard J. Rechtsanwälte einschalteten und der Betrug aufflog.
Gegen die Juristen läuft übrigens ein weiteres Ermittlungsverfahren wegen Gebührenüberhebung. Über den Stand schwieg sich der Ankläger gestern aus. »Kein Kommentar«, er wolle erst den Gang dieses Prozesses abwarten.
Die Angeklagten sind bis auf den verkrüppelten Heinrich J. für die Justiz keine unbeschriebenen Blätter: Gerhard J. stand erst vor drei Jahren vor dem Landgericht Bielefeld, wurde wegen räuberischen Diebstahls zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Christiane G. wollte Anfang der 90er Jahre ihren Ehemann, einen Detmolder Gastronom, töten lassen. Sie erhielt sechs Jahre Haft wegen eines versuchten Mordes.
Im Gefängnis lernte sie Birgit K. kennen. Ihre heutige Geliebte saß dort wegen eines Raubüberfalls ein. Wenige Jahre zuvor hatte sich die Näherin in einer Bar in Bielefeld prostituiert und wollte mit einem Schläger den Dirnenlohn eintreiben. - Der Prozess wird fortgesetzt.

Artikel vom 22.02.2005