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Kranke arbeitsfähig gemeldet

Clement: Städte versuchen, Hartz-IV-Kosten auf den Bund abzuwälzen

Berlin (Reuters/dpa). Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement hat Städten und Gemeinden vorgeworfen, im Rahmen der Arbeitsmarktreform Hartz IV Kosten auf den Bund abzuwälzen. Kommunale Spitzenverbände wiesen die Vorwürfe als unbegründet zurück.

Clement sagte gestern: »Wir sind erstaunt über die vielen Menschen, die dem Bund zum Hartz-IV-Start von den Kommunen zugewiesen wurden. Das geschah teilweise wildwüchsig«. Selbst Aids-, Koma- und Suchtkranke seien für erwerbsfähig erklärt worden und hätten damit Anspruch auf Arbeitslosengeld II, das der Bund finanziert.
Auch die Bundesagentur für Arbeit bestätigte den »Zugang von Personen, die nicht erwerbsfähig sind«. Genaue Zahlenangaben seien aber zunächst nicht möglich, sagte Sprecherin Angelika Müller. Eine systematische und abschließende Bearbeitung aller ALG-II-Empfänger werde erst Ende Juni abgeschlossen sein. Laut BA werden jetzt nach und nach die ehemaligen Sozialhilfe- und neuen ALG-II-Empfänger zu Gesprächen eingeladen. Zur Klärung der Erwerbsfähigkeit könne auch der ärztliche Dienst eingeschaltet werden.
Bielefelds Oberbürgermeister Eberhard David äußerte sich erbost über die Vorwürfe, die Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement gegen die Kommunen erhebt. Weil die Kosten der Arbeitsmarktreform Hartz IV den Bund stärker belasten als im Vorfeld kalkuliert, wirft Clement den Kommunen vor, Kosten für Sozialhilfeempfänger, die bisher allein die Gemeinden zu tragen hatten, dem Bund aufzubürden. »Solche Vorwürfe halte ich für eine Frechheit,« ärgert sich David. Er sei von Anfang an überzeugt gewesen, dass die Zahlen der Bundesregierung zu Hartz IV auf »wackeligen Füssen« gestanden hätten.
Zum 1. Januar wurden Arbeitslosen- und Sozialhilfe für mehr als vier Millionen Langzeitarbeitslose zum Arbeitslosengeld II (ALG II) zusammengefasst. Als erwerbsfähig gilt jeder, der zwischen 15 und 65 Jahre alt ist und mindestens drei Stunden arbeiten kann.
Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums ist die Zahl derjenigen, die statt Sozialhilfe ALG II erhalten, deutlich höher ausgefallen als erwartet. Für den 1. März ist eine erste Revision der Zahlen geplant.
Die Kommunen sollen durch die Hartz-IV-Reform um 2,5 Milliarden Euro pro Jahr entlastet werden. Der Städtetag ging zuletzt davon aus, dass die Belastung der Kommunen durch die Unterkunftskosten höher ausfällt als angenommen und der Bund seinen Anteil von 3,2 Milliarden Euro bei der März-Revision anheben muss. Clement sagte, der Bund werde deutlich weniger zahlen, weil die Kommunen sehr viel mehr Sozialhilfeempfänger überwiesen hätten. Bisher sind im Haushalt von Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) für das Arbeitslosengeld II 14,6 Milliarden Euro für 2005 veranschlagt. Das Finanzministerium und SPD-Generalsekretär Klaus Uwe Benneter nannten unterdessen Berichte »wilde Spekulation«, wonach der Bund in diesem Jahr bis zu 6,4 Milliarden Euro mehr an Empfänger des neuen Arbeitslosengeldes II zahlen müsse als geplant. Es sei zu früh für »irgendwelche Horrorszenarien«, hieß es. Seit längerem wird über Mehrkosten zwischen vier bis sechs Milliarden Euro spekuliert.

Artikel vom 23.02.2005