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In drei Tagen. Bis dahin werden wir alles an Bord genommen haben und alle Passagiere, die nach Genua wollen«, antwortete der Kapitän. Im gleichen Moment fraß sich der erste Sonnenstrahl durch den Morgendunst. Bazán nahm seinen breiten Hut ab und blinzelte in die Sonne. Eine tiefe Narbe, fast schon eine Wulst, lief ihm von der rechten Stirnhälfte quer in Richtung Ohr und verschwand in seinem dichten Haar.
»Wann erwartet Ihr den Herzog von Nájera an Bord?«, versuchte ich ihn am Ende aus seiner Zurückhaltung zu locken.
»Das weiß nur er selbst. Er wird kommen, wann es ihm beliebt.«
»Mit seiner Gesundheit scheint es nicht zum Besten zu stehen. Jedenfalls scheiterten alle meine Versuche, mit ihm in Verbindung zu treten.«
Der Kapitän zuckte gelangweilt die Achseln, als wollte er sagen: Wer weiß schon, warum es bei manchen mit der Gesundheit schlecht bestellt ist?
Im gleichen Moment sah ich, wie Barojo den Steg heraufkam. Er wirkte nicht mehr so dick, wie ich ihn in Erinnerung hatte; zumindest bewegte er sich schnell, was den Eindruck von Tatkraft vermittelte.
»Der nächste Besucher É«
»Ja, er hat sicher einige aufregende Neuigkeiten über einen begnadeten Maler dabei É«, erwiderte Bazán und reichte mir zum Abschied die Hand. Ich hatte den Eindruck, dass er diesmal richtig lächelte.
Auf dem Oberdeck begegneten sich unsere Blicke. Barojo stand mir mit versteinerte Miene gegenüber. Sein Gesicht war weiß, wie frisch gekalkt. Ich verbiss mir eine Bemerkung über die Tatsache, dass ich mich noch des Leben erfreute. Stattdessen grüßte ich ihn spontan mit erhobener Hand, was ihn völlig verblüffte. Wie in Trance grüßte er zurück. »Ich heiße Euch an Bord willkommen! Überbringt dem Herzog meine besten Wünsche zur Gesundung!«, sagte ich strahlend, als er sich im gleichen Moment von mir abrupt wegdrehte, um den Morinho schroff anzuweisen, seine Anwesenheit an Bord dem Kapitän zu melden É
Als ich danach unser Quartier betrat, fand ich Esquivel wimmernd auf dem Boden liegen. Mit blutigen Leinenstreifen in den Händen sah ich Juan über ihn gebeugt. Entsetzt sah ich auf den Verletzten herab. Blut sickerte aus Mund und Nase, während sein linkes Auge halb zugeschwollen war. Neben seinem Arm entdeckte ich zwei kleine Blutlachen.
»Er hat Messerstiche in den Arm abbekommen«, sagte Juan mit erregter Stimme.
»Was ist passiert?«
»Er war gerade dabei, unsere Öljacken und Wetterstiefel abzuholen, als drei Männer ihn zusammenschlugen.«
»Wie konnte das passieren? Warum war er allein?«
»Ich war nur kurz hinter ihm. Als ich hinzukam, schrie ich aus Leibeskräften. Sie ließen von ihm ab und flüchteten.«
»Was ist mit dem Wundarzt?«
»Er wird gleich kommen. Männer, die geholfen haben, Esquivel hierher zu tragen, haben den Wundarzt verständigt É«
Ich wusste nun, dass der Herzog von Nájera und seine Vasallen vor nichts zurückschreckten, um mich und meine Begleiter außer Gefecht zu setzten. Ich konnte mir in Malaga nun meiner Haut nicht mehr sicher sein.
Gott sei Dank waren die Stichwunden nicht allzu tief. Als Esquivel versorgt war, entschlossen wir uns, das Angebot des Kapitäns anzunehmen und sofort an Bord zu gehen. Da unsere Seebekleidung komplett, unsere Gewandung erneuert und der eigene Proviant vervollständigt waren, hielt uns nichts mehr an Land. So betrat ich noch am Morgen des 19. Januar zum zweiten Mal die Planken der Atocha.
Nun, heute, am 21. Januar, kurz vor dem Ablegen, beobachte ich am Großmast stehend die Ankunft des Herzogs von Nájera. Protzenhaft wälzen vier gentilhombres ihre dicken Leiber über den Steg auf das Oberdeck. An der Spitze El Nájera. Offensichtlich erfreut er sich bester Gesundheit. Es sind Herrenmenschen, gesättigt und übersättigt, Männer, denen der Hof im Grunde alles bietet, um das Leben zur ständigen Festivität zu machen. Sorg- und mühelos verdienen sie sich ihre Tage. Kapitän de Bazán, der mit mir am Oberdeck das Geschehen beobachtet, wird von den Herren mit Absicht ignoriert.
Kaum an Bord, beginnen sie eine wüste Zecherei in der Offiziersmesse. Im lächelnden Gesicht des Kapitäns kann ich beobachten, dass er auf diesen Moment nur gewartet hat. In seinen Augen sind diese ÝHerrenÜ nur Höflinge, die das Ansehen ihres Status genießen, von der Seefahrt und der notwendigen Disziplin an Bord jedoch keine Ahnung haben. Ich sehe es ihm an, dass er den sich anbahnenden Konflikten sofort einen Riegel vorschieben wird.
Bazán ruft seinen Bootsmann zu sich und dröhnt vor der versammelten Mannschaft, die sich dieses Schauspiel nicht entgehen lassen will: »Lassen Sie den Herzog wissen, dass ich ihn und sein Gefolge an Deck erwarte!«
Dem Herzog gefällt diese Maßregelung nicht, da er sich vor dem Kapitän provozierend aufbaut und mit seinen Gehstock schwingt: »Merkt Euch eines«, beginnt er zu poltern, »Eure Befehlsgewalt bezieht sich auf Eure Offiziere und Mannschaften. Nicht auf uns! Wagt es nie mehr mich zu stören!«, lässt er den Kapitän von oben herab wissen. Als er sich stöckchenschwingend entfernen will, pfeift der Kapitän schrill durch seine Zähne. Irritiert bleibt der Herzog für einen Moment stehen.
»Es ist an der Zeit, Euch darauf hinzuweisen, wer hier an Bord das Kommando führt. Sperrt also Eure Ohren auf!«
Es scheint, als quellen die Augen des Herzog aus dem Gesicht heraus. Entrüstet starrt er in die Richtung des Kapitäns. Vor Aufregung zuckt seine Nase, was ihn aussehen lässt wie eine schnuppernde Ratte. »Ihr habt es wohl immer noch nicht begriffen!«, faucht er den Kapitän an.
Dieser erwidert gelassen: »Ihr habt nur zwei Möglichkeiten. Entweder wird das Gelage unter Deck eingestellt, oder Ihr verlasst sofort dieses Schiff. Wenn nötig, lasse ich Euch mit Gewalt auf die Pier setzten!«
Alle Mann starren auf den Herzog, dem im gleichen Moment dämmert, dass er sich zu weit vorgewagt hatte. Als er sich langsam dem Niedergang zuwendet, um in das Innere des Schiffes zu verschwinden, stoppt ihn der Kapitän erneut: »Halt! Ihr werdet das Deck erst verlassen, nachdem ich es Euch gestatte.«
Wieder stockt der Herzog. Kurz darauf zertrümmert er vor Wut seinen Stock auf dem Schanzkleid.
»Ich war noch nicht fertig«, dröhnt die Stimme des Kapitäns. »Sollte irgendjemand auf See meinen Befehlen nicht gehorchen, werde ich ihn ohne Ansehen des Ranges bis Genua in Ketten legen lassen!«
Entsetzen und Wut lassen das Gesicht des Herzog und das seiner Begleiter erstarren. Als eine Erwiderung ausbleibt, höre ich im verschärften Ton den Kapitän sagen: »Habt Ihr das verstanden?«
»Verstanden É«, höre ich die heisere Stimme des Herzogs erwidern.
Danach richtet er sich wieder an seinen Bootsmann: »Befehlen Sie alle Mann an Deck. Lassen Sie das Schiff seeklar machen. Nachdem ich das Gebet gesprochen habe, werft die Leinen los und lasst das Schiff an den Wind bringen!«
Später, als die Atocha mithilfe von Ruderbooten mit dem Bug zur Hafenausfahrt gedreht hat, höre ich die Befehle, die wie Schalmeienklänge in meinen Ohren tönen.
»Entert auf! In die Wanten! An die Fallen!«
»Fockmarssegel und Großmarssegel setzen!«
»Bonaventurasegel setzen!«
Wie die Ameisen entern die Matrosen die Wanten hoch, während andere an den Fallen arbeiten. Als nach dem Passieren der Hafeneinfahrt die einsetzende Südwestbrise die gesetzten Segel zu blähen beginnt, ertönt der Befehl: »Groß- und Focksegel setzen!«
Nachdem die Atocha Fahrt aufgenommen hat, lässt der Kapitän noch Fock-, Großbram-, Besanmars- und das Fockbramsegel setzen, und als sich das Tuch an den Rahen strafft, erteilt er den Befehl zum Anbrassen.
Die Galeone legt sich leicht über, und wir nehmen Kurs auf die algerische Küste. Meine Seele jubelt. Am Himmel blickt die Sonne durch strähnige Wolken. Es ist kein Fahren, es ist ein Gleiten auf dunkelblauem Wasser, wobei die Segelpyramiden über freier See zu schweben scheinen.
Unbemerkt hat Juan das Halbdeck betreten und tippt mir auf die Schulter. Als ich in sein angespanntes Gesicht blicke, flüstert er mir zu. »Pio Barojo schickt mich. Er bittet Euch höflich, in seine Kajüte zu kommen É«
Für einen Moment bin ich sprachlos. Plant er schon wieder eine gemeine Intrige gegen mich? Nach einem Augenblick des Überlegens weise ich Juan an: »Sag ihm, er kann mich morgen zu Beginn der vierten Wache auf dem Halbdeck treffen.«

22. Januar 1649
4. Wache

I
ch bin etwas früher aus meinem Mittagsschläfchen erwacht. Der Sonnenschein tanzt wild durch das Sprossenfenster der oberen Heckgalerie. Der Seegang hat offenbar zugenommen. Unverzüglich verlasse ich meine enge, aber bequeme und lichtdurchflutete Kajüte, da ich vor Barojo auf dem Halbdeck sein will. Behände angle ich mich von Balkenknie zu Balkenknie bis zum Niedergang. Hat meine Stirn während meiner ersten Fahrt nach Italien noch schmerzhaft Bekanntschaft mit groben Decksbalken gemacht, so bewahrt mich nun die Erinnerung daran vor Schwellungen und Schrammen É
Aus dem Niedergang heraus blicke ich hoch in die Masten. Die Rahen sind kaum angebrasst. Wir segeln platt vor dem Wind. Eine hohe Dünung läuft von West mit und schiebt die Galeone stetig nach Osten.
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 09.03.2005