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Tollwut-Opfer
nicht zu retten

Neurologe erlebte 1974 einen Fall

Von Christian Althoff
Bielefeld (WB). Der Rentner (70) aus Detmold, dem im Januar die Niere einer an Tollwut erkrankten Frau transplantiert worden war, kann kaum noch gerettet werden. Diese Einschätzung gab am Freitag Prof. Dr. Dierk Dommasch (61), Chefarzt der Neurologischen Klinik Gilead in Bielefeld. Er ist einer der wenigen Mediziner in Deutschland, die jemals einen Tollwut-Patienten behandelt haben.
Tollwut-Experte Prof. Dr. Dierk Dommasch.

Dommasch arbeitete 1974 an der Uniklinik Würzburg, in die damals ein 23 Jahre alter Mann mit unklarem Krankheitsbild eingewiesen wurde. »Psychiater, Chirurgen, Neurologen, Innere Mediziner und Anästhesisten hatten ihn untersucht, waren aber zu keiner schlüssigen Diagnose gekommen«, erinnert sich der Bielefelder. Der Patient litt unter Atemnot und rollte plötzlich wütend mit den Augen. Er drohte den Ärzten, dann wirkte er wieder verängstigt und fing unvermutet an zu weinen und Grimassen zu ziehen. Seine Muskeln waren extrem verhärtet, der Kranke brach Sätze mitten im Sprechen ab und verlor immer wieder das Bewusstsein.
Professor Dommasch: »Einem Kollegen fiel schließlich auf, dass es dem Patienten beim Anblick von Wasser die Kehle zuschnürte und er eine regelrechte Angst vor Wasser hatte.« Diese so genannte Wasserphobie sei in Lehrbüchern als Symptom von Tollwut beschrieben. »In Natura hatte das von uns Ärzten allerdings noch niemand erlebt.« Der Tollwut-Verdacht habe sich schließlich bestätigtÊ- der Mann war fünf Monate zuvor von einer Katze gebissen worden.
»Wir haben damals geglaubt, den Patienten retten zu können, weil uns mehr Möglichkeiten zur Verfügung gestanden haben als den Ärztegenerationen vor uns«, erinnert sich Dierk Dommasch. Drei Wochen sei der 23-Jährige intensivmedizinisch versorgt worden. »Da das Tollwutvirus die Reizleitung des Herzens unterbrochen hatte, haben wir dem Kranken ein Herzschrittmacher eingesetzt.« Außerdem sei der Patient beatmet und medikamentös versorgt worden. Trotzdem habe man den Tod nicht aufhalten können: »Das Virus zerstört das Gehirn und die Nervenleitungen im Körper. Wir mussten erkennen, dass wir dagegen machtlos waren und es auch heute wohl auch noch sind«, erklärt der Neurologe. Der Patient sei damals während der Intensivtheraphie gestorben. »Ich fürchte, dass die Organempfänger, bei denen die Krankheit ausgebrochen ist, trotz bester Intensivmedizin nicht überleben werden«, sagte der Neurologe, der seine Erfahrungen mit der tückischen Krankheit 1982 in einem Fachbuch veröffentlicht hat.
Der Rentner aus Detmold wird im Nieren-Transplantationszentrum Hannoversch Münden künstlich beatmet und liegt im Koma. Er ist einer von sechs Menschen, denen Organe einer an Tollwut erkrankten Frau transplantiert worden waren. Die Frau hatte sich auf einer Indienreise infiziert und war im Dezember an einem Herzinfarkt gestorben.

Artikel vom 19.02.2005