21.02.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Unterm Joch
der Inquisition

Verdis »Don Carlos« umjubelt

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Die Zeiten sind finster. Kein Lichtstrahl dringt an den Ort, an dem König Philipp II. von Spanien Hof hält. So düster die Kulisse, so traurig die Seelenlage in Werner Schroeters Don Carlos-Inszenierung. Gleichwohl feierte Giuseppe Verdis Meisterwerk am Samstagabend eine umjubelte Premiere am Theater Bielefeld.
Keine Zukunft: Irina Popova (Elisabeth) und Ki-Chun Park (Carlos) in Verdis Don Carlos.

Bewusst hat Schroeter darauf verzichtet, aus der Ersatzspielstätte der Oetkerhalle mit ihren bühnentechnisch eingeschränkten Möglichkeiten ein Theater zu machen. Statt dessen nutzt er die volle Höhe und Tiefe der ansonsten kahlen Bühne aus, um einen Raum von kathedraler Anmutung zu schaffen. Die nackten Aluminium-Traversen markieren den von einer zweiten Spielebene durchzogenen Raum wie mächtige Pfeiler. Orgelpfeifen und ein unheilvoll über der Szene schwebendes Kreuz dominiert die Szene. Doch Geborgenheit im Schoße der Kirche ist hier nicht zu erwarten. Christliche Nächstenliebe ist im Angesicht der Inquisition längst pervertiert - angedeutet durch den entblößt am Kreuz hängenden Erlöser.
Vor erdrückender, gespenstischer Kulisse wirken die Personen klein und verloren, wird Schillers/Verdis Ideendrama zur Seelentragödie eines jeden Einzelnen. Groteske Bilder sind es immer wieder, die Schroeter erfindet, um auf eine Schieflage hinzudeuten: Das Spiel der im malerischen Velázquez-Stil gekleideten Infantin mit einem tierischen Ungeheuer. Oder das Kind an der Hand des blinden Großinquisitors.
Von Sehnsucht und Schmerz Getriebene sind sie, die Opfer politischer und kirchlicher Diktionen, allesamt. In seiner Zerrissenheit gerät indes ausgerechnet Philipp -Êund nicht Carlos - in dieser Inszenierung zu einem komplexen, tragisch-bemitleidenswerten Personen-Porträt. Neben solch innehaltender Fokussierung und Durchleuchtung gewinnt die Oper Tempo und Spannung aus ihren farbenfrohen Massenszenen.
Musikalisch ist unter der Leitung von Peter Kuhn alles im Lot. So beschwören die Bielefelder Philharmoniker Verdis melodischen Fluss wie sie intim flüstern oder bedrohlich donnern. In differenzierter Tempogestaltung geriet dieser Don Carlos zu einem Orchesterfest höchsten Genusses.
Kongenial die Schar der Sänger und Sängerinnen: Zwischen Lyrik und Dramatik sämtliche Register ziehend begann Irina Makarova (Eboli) faszinierend und endete grandios. Irina Popova (Elisabeth) entfaltete eine bewundernswerte Mischung aus Lyrik und Empfindsamkeit. So stimmgewaltig und mit tenoraler Strahlkraft hat man Ki-Chun Park (Carlos) am Theater Bielefeld noch nie gehört. Tongerundet und mit manischem Ausdruck überzeugte Alexander Vassilev (Philipp). Alexander Marco-Buhrmester (Posa) präsentierte die gesamte Gefühlsskala mit baritonalem Schmelz. Und machtvolle Basstiefe ließ Michael Bachtadze (Großinquisitor) einfließen. Kompliment auch an den sängerisch wie schauspielerisch bestens aufgestellten Chor- und Extrachor, der von Hagen Enke einstudiert wurde.

Artikel vom 21.02.2005