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Berlin gerät wegen Visa
in Europa unter Druck

Union: Milliarden-Schäden durch Schwarzarbeiter

Berlin/Brüssel (dpa/AP). In der Affäre um die Visa-Vergabepraxis gerät die Bundesregierung auch auf europäischer Ebene unter Druck. Die EU-Kommission kündigte eine Prüfung an, ob der Volmer-Erlass und die inzwischen gültige Neuregelung gegen europäisches Recht verstoßen.
Aus Portugal kam der Vorwurf, Deutschland sei für die Einreise von hunderttausenden Schwarzarbeitern aus Osteuropa in die EU verantwortlich. Die illegalen Arbeitskräfte haben nach Berechnungen von CDU/CSU allein in Deutschland einen Schaden von mehr als 60 Milliarden Euro angerichtet.
Die Union forderte Außenminister Joschka Fischer (Grüne) indirekt zum Rücktritt auf. Allerdings gerät nun auch ein Unions-Politiker in die Kritik. Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) hat sich bei Fischer für großzügige Visa-Erteilungen an chinesische Touristen nach dem umstrittenen Reisebüroverfahren eingesetzt. Das Auswärtige Amt hatte vor einem Missbrauch der erleichterten Visa-Vergabe in China gewarnt. Grünen-Chefin Claudia Roth riet Kochs Parteifreunden, »endlich verbal abzurüsten«.
EU-Justizkommissar Franco Frattini prüft die deutsche Vergabe-Praxis auf Antrag von Europa-Abgeordneten der Union. Frattinis Sprecher erklärte, die Kommission nehme eine juristische Prüfung vor, keine politische Bewertung des Vorganges. »Die Umsetzung der Schengen-Regeln ist Sache der Mitgliedstaaten, aber deren Vorschriften müssen natürlich dem EU-Gesetz entsprechen«, sagte der Sprecher. Die Prüfung werde lange dauern.
Der Vize-Chef der EVP-Fraktion im Europaparlament, Portugals Ex-Außenminister, Joao Deus Pinheiro, sagte, die Visa-Politik Deutschlands sei ein Bruch des Schengener Abkommens. Hunderttausende Schwarzarbeiter seien nach ganz Europa eingereist, weil deutsche Botschaften in Osteuropa zu leichtfertig Visa ausgestellt hätten. Laut »Welt am Sonntag« haben spanische und portugiesische Diplomaten in der Ukraine bereits zur Ende 2002 ihre deutschen Kollegen darüber informiert, dass Schwarzarbeiter in ihren Ländern mit deutschen Visa aufgegriffen wurden.
Die Visa-Vergabepraxis in den GUS-Staaten von 1999 bis 2004 hat Deutschland nach Angaben des Union-Arbeitsmarktexperten Karl-Josef Laumann jährlich etwa elf Milliarden Euro gekostet. Wenn 600 000 Schwarzarbeiter aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion ebenso viele Durchschnittsverdiener mit 30 000 Euro jährlich ersetzt hätten, betrage der Ausfall an Sozialabgaben und Steuern diese Summe.
CDU-Chefin Angela Merkel warf Fischer vor, »Schlamperei« unter seiner Verantwortung habe eine »Form der modernen Sklaverei« möglich gemacht. Grünen-Fraktionschefin Krista Sager wies dies zurück.
Hessens Regierungschef Koch bekannte sich »mit gutem Gewissen« zu seiner Bitte um großzügige Visa-Erteilung für chinesische Touristen und Kaufleute. Diese mit ukrainischen Schwerkriminellen zu vergleichen, zeige nur, dass »Fischer das Wasser in seiner Affäre längst bis zum Halse steht«, sagte sein Sprecher.
Für China wird nach einer Vereinbarung der EU seit September 2004 das Reisebüroverfahren in den 13 Staaten angewendet, die dem Schengen-Abkommen für Reisefreiheit beigetreten sind. Dabei werden für Gruppenreisen Visa über bei der chinesischen Regierung akkreditierte chinesische Reisebüros vergeben, ohne dass die Antragsteller persönlich vorsprechen müssen. Dieses Verfahren galt als ein Einfallstor beim Visa-Missbrauch in der Ukraine.

Artikel vom 21.02.2005