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Beckmann-Ausstellung in Paderborn

Von Andrea Pistorius
Paderborn (WB). Leben und Werk des in keine Schublade einsortierbaren Malers und Grafikers Max Beckmann werden in einer umfassenden Ausstellung ansprechend dokumentiert. Der Titel »Jahrmarkt und Hölle« steht für die pessimistische Lebensauffassung des Künstlers (1884-1950), der als einer der Wegbereiter der klassischen Moderne gilt.

Die Kunsthistorikerin Dr. Andrea Wandschneider vom städtischen Kulturamt hat überwiegend grafische Arbeiten aus der umfassenden Sammlung des Sprengel Museums Hannover ausgewählt und dabei die wichtigsten Schaffensphasen Beckmanns berücksichtigt. Der Rundgang beginnt bei den Frühwerken, die der Leipziger Kaufmannssohn nach seinem Kunststudium und ersten Studienaufenthalten im Ausland anfertigte. Darunter befinden sich mit Kreide gezeichnete Porträts und eine Bootspartie, die noch die Nähe zum Impressionismus erkennen lassen.
Ein Lithografie-Zyklus illustriert die griechische Sage von Orpheus und Eurydike (1909) und damit eine der damals beliebten antiken Mythologien, wobei Beckmann bereits typische Stilmerkmale der Künstlergruppe »Berliner Secession« anwendete, der er angehörte. Einsam steht hier der Mensch inmitten der gewaltigen Schöpfung und ihrer entfesselten Naturgewalten.
Mit Beginn des Ersten Weltkriegs verändern sich Technik und Stil des Künstlers, der fortan die Kaltnadelradierung bevorzugt und seine Motive härter und kontrastreicher darstellt. Geprägt durch eigene Fronterfahrungen zeigt Beckmann - entgegen der wilhelminischen Heldentod-Verklärung - die brutale Wirklichkeit der Schlachtfelder, über die verängstigte und verstümmelte Menschen irren.
Das Grauen des Krieges wirkt in den beiden Mappenwerken »Hölle« (1919) und »Jahrmarkt« (1921) fort. Entwurzelte Individuen treiben wie Strandgut durch die Straßen der Großstadt; alle Bildbestandteile stürzen in- und übereinander und der Künstler stellt sich als leidender Beobachter dazu. Spaß oder Lebensfreude finden sich in den Jahren nach der Apokalypse noch nicht einmal auf der Kirmes, die bei Beckmann ausschließlich von traurigen Menschen besucht wird, die sich als unfähig zu jeder Kontaktaufnahme erweisen.
In einem anderen Zyklus (»Berliner Reise«, 1922) schärft der Künstler den Blick des Betrachters für soziale Unterschiede: In Massenszenen, in denen der Einzelne nur schwer auszumachen ist, stehen sich zum Beispiel reiche Theatergänger und hungrige Bettler gegenüber. Beckmann beobachtet das Geschehen als Schornsteinfeger von oben.
Der Mensch steht zweifelsohne im Mittelpunkt des Künstlerinteresses, doch auch an Landschaften und Stadtszenen hat der Grafiker sich versucht. Dabei handelt es sich um eher unwirtliche Orte, deren einzelne Bestandteile sich nicht recht zu einem harmonischen Ganzen zusammenfügen wollen. Vor der NS-Kulturbürokratie floh Beckmann in die USA. Hier entstand kurz vor seinem Tod der Lithografie-Zyklus »Day and Dream« (1946), den er teilweise aquarellierte. Eine umfassende Ausstellung zur Druckgraphik Beckmanns ist von diesem Samstag an auch in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe zu sehen.
(Max Beckmann - Jahrmarkt und Hölle, Städtische Galerie in der Reithalle, Schloß Neuhaus, bis 17. April, geöffnet Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr)

Artikel vom 19.02.2005