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Warten auf den Goldbären
hat jetzt endlich ein Ende

Hachmeisters »Goebbels-Experiment« auf der Berlinale

Von Klaus Gosmann
Berlin (WB). Jetzt hat die Jury die Qual der Wahl: Mit der Verleihung des Goldenen Bären für den besten Film geht an diesem Samstag der offizielle Wettbewerb der 55. Internationalen Filmfestspiele Berlin zu Ende. Ausgewählt wird der Gewinner aus insgesamt 22 Wettbewerbsbeiträgen aus aller Welt.

Ohne kreative Impulse ostwestfälischen Ursprungs kommt auch die Berlinale nicht aus: So sorgte der Film »Das Goebbels-Experiment« von Michael Kloft und dem gebürtigen Mindener Lutz Hachmeister für kontroverse Diskussionen. Hierbei handelt es sich um eine filmische Dokumentation, in deren Mittelpunkt Auszüge aus den Tagebüchern des Nazi-Propagandaministers Joseph Goebbels (1897-1945) stehen, die von namhaften Schauspielern wie Udo Samel in der deutschen und Kenneth Branagh in der englischen Version gelesen werden. Parallel dazu gibt es auf der Leinwand historische Filmaufnahmen, aber auch aktuelles Bildmaterial der damaligen Schauplätze zu sehen, die zumeist die Aussagen des Tagebuchs eher stützen denn konterkarieren. Darunter befinden sich Filmmitschnitte hinlänglich bekannter historischer Ereignisse, wie zum Beispiel von der Sportpalast-Rede im Februar 1943, in der Hitlers oberster Öffentlichkeitsarbeiter den »totalen Krieg« einforderte, aber auch Aufnahmen seiner Familie aus ihrem Domizil auf Schwanenwerder und von Kultur-Trips nach Bayreuth oder zu den Filmfestspielen in Venedig.
Der experimentelle, im Titel des Films angekündigte Ansatz der Collage dürfte vornehmlich darin bestehen, dass auf einen erläuternden Kommentar verzichtet wird. Lutz Hachmeister (Regie, Drehbuch) und Michael Kloft (Drehbuch, Recherchen) setzen einen sehr mündigen und bestens informierten Zuschauer voraus. Die zwar der Chronologie der historischen Ereignisse folgende Erzählweise lässt einen mitunter leicht ratlos zurück, wenn dieses Vorwissen nur lückenhaft ist.
Im Gegensatz zu Guido Knopps alles andere als unumstrittenen Dokumentationen über die NS-Zeit wird bewusst auf einen erklärenden Ansatz verzichtet. Goebbels Worte sollen für sich selbst sprechen. Sie zeigen einen Charakter mit stark manisch-depressiven Zügen, zu dessen emotionalen Überlebensstrategien nicht nur externe Schuldzuweisungen wie gegenüber den Juden, sondern auch starkes Selbstmitleid gehörten. Man könnte den schnörkellosen Sätzen des verhinderten Dramatikers Goebbels gelegentlich sogar eine unfreiwillige Komik attestieren, wenn er zum Beispiel nach Lektüre eines Buchs des jüdischen Publizisten Emil Ludwig schreibt: »Da kann man Antisemit werden, wenn man es nicht schon wäre.« Erfreulicherweise strickt der promovierte Kommunikationswissenschaftler Hachmeister auch nicht weiter unreflektiert an der Legende des PR-»Genies« Goebbels, vielmehr skizziert er ihn als Politiker mit viel weiter gehenden politischen Ambitionen.

Artikel vom 19.02.2005