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Der Tross soll folgen, sobald der Herzog wieder auf den Beinen ist. Aufgrund der fehlenden Männer, so befürchten die Zurückgebliebenen, würde sich der Rest der Reise äußerst beschwerlich gestalten. Über den Grund der Anordnung des Herzogs sowie die zeitliche Disposition für das Segelschiff konnte er nichts in Erfahrung bringen.
SanchezÕ Schilderungen wurden durch Valdes bestätigt. Die Männer wussten um die schlechten Straßenverbindungen nach Malaga, die mit schwerem Tross zur Tortur werden konnten. Über die Gründe der schnellen Weiterreise Barojos war nichts herauszufinden. Esquivel und Juan haben indessen erfolgreich ihre Verbindungen über das Küchenvolk geknüpft. Dem Herzog geht es tatsächlich schlecht. Das Fieber und die Luftnot machen eine Reise in den nächsten Tagen unmöglich. »Er isst schlecht, und seine Kräfte drohen zu schwinden«, wurde ihnen zugetragen. Bei Esquivels Schilderungen ziehen die Tage in Bailén an meinem inneren Auge vorüber. Während meine Männer mein Quartier verlassen, steckt mir an der Tür ein Bote des Conde Ramón Menéndez eine Nachricht zu. Als ich das Siegel breche lese ich:
Señor Velázquez, mit Freude und Gottes Dank habe ich die Nachricht Eurer gesunden Ankunft vernommen. Wie wäre es mit einem gemeinsamen Frühstück? Ich erwarte Euch zur siebten Stunde in meinem Quartier.
C. R. M.
Nach bleiernem Schlaf begebe ich mich morgens in das obere Stockwerk. Ramón Menéndez ist groß gewachsen, eine straffe Erscheinung. Ein Einzelgänger, wie mir scheint, mit einem Gesicht, das selbst in der größten Menschenmenge durch seine gewinnende Ausstrahlung sofort ins Auge fällt.
»Willkommen in meiner bescheidenen Behausung«, begrüßt er mich liebenswürdig. »Ich bin stolz darauf, dem großen Meister der Malkunst hier in dieser Abgeschiedenheit zu begegnen.«
»Oh, zu viel der Ehre, Conde. Auch ich freue mich, Eure Bekanntschaft machen zu dürfen.«
»Darf ich Euch an diesen Tisch bitten?«
»Sehr gern É«
Der Tisch ist reichlich gedeckt. Die Aufmerksamkeit, mit der er sich mir widmet, täuscht nicht darüber hinweg, dass er bemüht ist, seine Gefühle gleichzeitig durch eine aufgesetzte Strenge zu übertünchen. Dafür berichtet er freimütig über die durchlittenen Qualen der Reise von Madrid bis Loja, die den unsrigen in nichts nachstehen.
Der charmante Riese Menéndez kommt bald auf den Herzog zu sprechen. Er durchleuchtet seinen Charakter und endet mit der Feststellung: »Ihr habt nicht nur Freunde in der Eskorte. Man will Euch ausbooten.«
»Wie soll das geschehen?«
»Nachdem man Euch nicht hat abhängen können, will man Euch den Zutritt zum Schiff verweigern.«
»Verweigern? Ich verstehe nicht É«
»Der Kapitän soll bestochen werden. Es soll verhindert werden, dass Ihr in Malaga an Bord geht.«
Obwohl ich ahne, wer des Herzogs Anweisungen ausführen soll, frage ich Menéndez: »Wie soll das nach Eurer Meinung nach eingefädelt werden?«
»Es ist schon jemand unterwegs nach Malaga. Vorgestern erst abgereist.«
»Was soll das? Angenommen, es würde so kommen, dann nehme ich einfach das nächste Schiff.«
»Das kann dauern«, erwidert er.
»Malaga ist ein großer Hafen, und viele Schiffe gehen dort vor Anker.«
»Das ist sicher der Fall. Doch zurzeit wütet in den meisten Häfen des Königreiches die Pest. Kaum ein Schiff aus Sevilla oder aus Barcelona wird in den Hafen gelassen. Meist liegen sie weit draußen vor dem Hafen und müssen warten.«
»Warum das?«
»Nun, es wird erst abgewartet, ob der Schwarze Tod sich an Bord eingenistet hat. Man stellt die Schiffe einfach einige Wochen unter Quarantäne.«
»Diese Bande von Verrätern!«, platzt es aus mir heraus. »Was ratet Ihr mir?«
»Ihr habt in mir einen Helfer bei Eurer Mission, doch müsst Ihr selbst entscheiden, was Ihr tun wollt. Doch Ihr sollt wissen: Man wird Euch das Leben hier äußerst angenehm machen wollen, damit Ihr es genießt und selbst die Beine streckt.«
»Das hat man bereits in Jaén versucht, aber ich bin nicht darauf hereingefallen. Dann werde ich eben so schnell wie möglich nach Malaga reiten, um den Machenschaften vor Ort ein Ende zu setzen.«
Menéndez verfügt offenbar über ein klares Empfinden für Recht und Billigkeit, denn er meint darauf: »Meine Hand zuckt schon lange nach dem Schwert, Señor Diego. Ich werde einige der Herren nach unserer Rückkehr vor unseren höchsten Souverän zitieren.«
»Ich bin glücklich, Euch auf meiner Seite zu wissen«, antworte ich.
Nachdem ich mich vom Conde verabschiedet habe, rufe ich meine Männer zusammen. Ich fühle mich plötzlich wie ein gefangener Löwe in diesen Mauern.
»Eher werden die Schwäne schwarz und die Krähen weiß, als dass ich nicht mit demselben Schiff nach Genua segle!«, schicke ich meinen Schwur gen Himmel.
In aller Verschwiegenheit nehmen wir uns vor, in den frühen Morgenstunden des folgenden Tages nach Malaga aufzubrechen. So bleibt uns noch genügend Zeit, in Stille die Vorbereitungen dafür zu treffenÉ
VII Quarantäne
Aus den Erinnerungen
des Diego Rodríguez de Silva y Velázquez

Malaga - Genua 1649

21. Januar 1649

W
as ist höher, der Schneegipfel dort in der Sierra Nevada hinter uns oder der unvollendete Turm der Kathedrale vor uns?«, hatte mich Juan am Neujahrstag gefragt. Im gleichen Augenblick hatte ich im grellen Licht der Mittagssonne die schemenhaften Konturen Malagas erspäht. Wir waren gerade dabei, den letzten Höhenzug zu überqueren, der uns noch von unserem Ziel trennte. Milde Frühlingsluft umwehte mein Haupt. Ich hatte ein letztes Mal meine Karte aus der Satteltasche gezogen, um mich zu orientieren.
»Wir stehen auf dem Scheitelpunkt der Malagaberge! Dort unten liegt der Endpunkt unserer Reise auf Spaniens Boden. Wir haben es geschafft!«, rief ich freudig in jener Stunde den Männern zu.
Ich hatte zu früh gejubelt. Es war, bei Gott, noch nicht geschafft É
Heute, am Tag der Abreise an Bord der Nuestra Señora de Atocha, bete ich, dass Gott am Tage des Jüngsten Gerichts Pio Barojo richten möge und dass ihm hier auf Erden niemand Verzeihung gewährt, auch wenn geschrieben steht: Liebe deine Feinde!
Es schien sich alles zum Guten zu wenden. Wir träumten am Neujahrstag davon, in wenigen Stunden in der maurischen Festung Malagas, der Alcazaba, Quartier nehmen zu können.

(wird fortgesetzt)

Artikel vom 05.03.2005