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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


In der Frage, ob die Türkei, ein zum weitaus größten Teil asiatisches und vom Islam geprägtes Land, in die Europäische Union aufgenommen werden soll oder nicht, wird von Befürwortern immer wieder behauptet, Europa sei »kein Christenclub«. Man bezieht sich dabei auf die in allen zivilisierten europäischen Staaten geltende Bestimmung, wonach niemand seines Glaubens oder seiner religiösen Anschauungen wegen benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Zu wünschen wäre, die Türkei schlösse sich dieser Auffassung schnellstens an. Dort ein christliches Gotteshauses zu errichten, sollte eigentlich nicht schwieriger sein, als in Deutschland eine Moschee zu bauen.
Vermutlich jedoch liegt der Absage an einen »Christenclub« nicht nur der Gedanke der Religionsfreiheit zugrunde, sondern auch eine Geringschätzung des christlichen Glaubens selbst. Das wirft aber die Frage auf, ob Europa wirklich auf ein tragendes geistiges Fundament und ein verbindendes Band an gemeinsamer Orientierung verzichten kann und es sich leisten will, sich in lauter Pluralismen aufzulösen.
Vielleicht sind diejenigen, die so locker daherreden, Europa sei »kein Christenclub«, in Wirklichkeit nur zu ungebildet, um zu begreifen, dass Europa ohne die Bibel und ohne den christlichen Glauben sich niemals zu dem hätte entwickeln können, was es im Laufe seiner Geschichte geworden ist.
Die Zehn Gebote etwa haben die abendländische Ethik und Rechtsordnung entscheidend geprägt. Auf ihnen fußt die Gesetzgebung. Dieser liegt außerdem das biblische Verständnis vom Menschen zu Grunde, dass alle Menschen vor Gott gleich sind und dass jeder von ihm seine unverlierbare und darum auch unantastbare Würde hat verliehen bekommen.
Manchmal hat es zwar eine Inkubationszeit gebraucht, um später auch zu gesetzgeberisch verankerten Ergebnissen zu führen. Das ändert freilich nichts an der geistigen und geistlichen Grundlegung in der Bibel. »Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus« (Gal. 3, 28), schreibt der Apostels Paulus. Auf dieser Grundlage fußt die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Doch auch die Sklaverei, in der Antike unangefochtene Praxis, ist damit im Ansatz überwunden; denn ihr ist die Legitimation entzogen.
So etwas versteht sich nicht von selbst. Es beruht nicht einfach auf der Einsicht von Menschen, sondern hat wesentlich damit zu tun, dass mit Jesus Christus ein neuer Geist in die Welt gekommen ist. Besonders der Gedanke der Nächstenliebe ist genuin biblisch, ebenso der, die Schwachen nicht ihrem Los preiszugeben, sondern sie zu schützen. Ohne das Gebot der Nächstenliebe gäbe es keine diakonische oder soziale Einrichtungen und kein soziales Recht, nach denen man in manch anderen Kulturen ja auch vergeblich sucht. Wer jedoch die Quellen nicht mehr kennt, ist in Gefahr zu verlieren, was aus ihnen sprudelt., und vor einem Rückfall in die Barbarei ist die Menschheit, wie das 20. Jahrhundert gezeigt hat, von sich aus nicht gefeit.
Selbst die modernen Naturwissenschaften sind auf dem Boden des biblischen Glaubens entstanden und nicht etwa unter dem Einfluß der asiatischen Hochreligionen. Das ist kein Zufall. Es hängt vielmehr damit zusammen, wie die Welt insgesamt verstanden wird. Sie ist Gottes Schöpfung, aber nicht selbst göttlich also nicht tabubesetzt. Das aber schafft aber erst die Voraussetzung, sie zu erforschen und die Ergebnisse dann auch praktisch zu nutzen.
Auch wer sich selbst nicht mehr als Christ versteht, verdankt dem christlichen Glauben mehr, als er vielleicht weiß, und es wäre an der Zeit, sich darauf wieder zu besinnen.

Artikel vom 19.02.2005