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Endlich hatte ich seinen Panzer angekratzt. Meine Stimme wurde schärfer, ohne jedoch den verbindlichen Ton zu verlieren. »Ich und meine Gefolgschaft folgen den Befehlen unseres Königs, wie es überall in diesem Reich Gesetz ist! Verschafft auch Ihr den Befehlen des Königs nicht täglich Geltung?«
»Natürlich! Das geschieht aus Verantwortung für uns alle. Aber nicht wider alle Vernunft.«
»Ihr habt die Wahl«, setzte ich nach. »Entweder erhalte ich die Unterstützung und alle wichtigen Auskünfte von Euch, oder ich werde am Hof in Madrid berichten, dass Ihr meine Mission, die ich im Auftrag unseres Herrschers zu erfüllen habe, verhindert habt.«
»Ihr wagt es É!«
»Ihr wagt es, unserem König die Stirn zu bieten?«, parierte ich scharf. »Kennt Ihr als Commandante dieses Palastes Eure Pflichten nicht? Ihr werdet Euren Lügen in das Grab folgen, wenn Ihr Euch nicht besinnt!«

»Ich weiß, was ich zu tun habe«, gab er gereizt zurück, begann jedoch einzulenken: »Ich gehöre nicht zu denen, die alles ganz genau wissen. Ich bin nur ein Strohhalm im Pferdemist.«
»Ich bin mir sicher, Ihr wisst eine Antwort darauf, warum der Herzog von Nájera hier auf uns nicht gewartet hat, wie es nach den Anordnungen des Hofes festgelegt war?«
»Der Hof ist eine Sache, die Pflicht eine andere«, ging er auf Distanz.
»Erklärt Euch!«
»Meister Velázquez, ich war lang am Hof von Madrid. Und ich gehöre zu denen, die Euer Talent und Eure Malerei bewundern und gleichzeitig bedauern, dass der Hof Gemälde unbedarfter Künstler in den Palästen anhäuft. Das ließe sich allerdings ändern É« Dabei warf er einen prüfenden Blick auf mich, um die Wirkung seiner Worte zu beobachten. Ich hielt mich bedeckt, sodass er fortfuhr: »Meinen Einfluss in diesem Punkt bei Hofe solltet Ihr wiederum nicht unterschätzen. Viele sind geradezu enttäuscht darüber, dass der Hof Madrids mühsam für horrende Summen Kunstschätze aus Italien heranholen lässt, ohne daran zu denken, dass wir einen Velázquez in unseren Reihen haben.«
»Tizian, Veronese, Tintoretto und Raffael sind weder mindere Künstler, noch habe ich, als Bediensteter des Hofes, genügend Zeit, die königliche Sammlung mit hundert und mehr Bilder aus meiner Hand zu schmücken. Ihr solltet wissen, dass ich für meinen König selten genug zu Pinsel und Palette greife.«
»Ich weiß, Ihr habt in der Familie der Olivares noch immer mächtige Fürsprecher und in unserem König den größten Bewunderer Eurer Kunst, doch ich halte es für unverantwortlich, für die mit Kunstwerken überbordenden königlichen Paläste und Galerien noch mehr Prunkstücke im Ausland zu beschaffen, statt spanisches Gold dem spanischen Volk zu geben.«
»Das ist ganz allein die Entscheidung unseres Königs. Sein von Gott verliehenes Amt ist es wert, mit dem ausgeschmückt zu werden, was die Welt der Kunst zu bieten hat.«
»Unsere katholische Gewissenstreue ist weit mehr wert als der Strom von ketzerischen Bildern aus dem heruntergekommenen Rom, Neapel oder Florenz. Wisst Ihr eigentlich, welche Lasten wir hier tragen?«
»Kastilien muss von anderen kaufen, was es selbst nicht produziert!«
»Die Golddukaten, die Ihr demnächst in Italien ausgeben werdet, fehlen überall im Reich. Habt Ihr nicht selbst noch große Summen bei Hofe ausstehen? Wie steht es damit? Wäre es nicht für uns alle von großem Nutzen, wenn Ihr Eure É« Er stockte plötzlich, als hätte er sich dabei ertappt, eine Blöße gezeigt zu haben.
»Redet weiter! Sagt, was Ihr denkt!«, locke ich ihn aus der Reserve.
»Ach, vergesst alles, was ich Euch gesagt habe. Nur so viel: Ihr könntet hier in diesem Palast bleiben. Alle Vergnügungen wären umsonst für Euch. Ihr malt mein Bildnis in ganzer Figur, was ich Euch fürstlich belohnen werde. Was wollt Ihr Euch also an Strapazen noch alles aufbürden? Außerdem lauert in jedem Hafen die Pest. Das ist doch keinen Tizian wert. Ich könnte Euch dagegen jedes nur erdenkliche Dokument ausstellen, das den Abbruch der Mission decken würde É«
Als ich stumm blieb, glaubte er den Kampf gewonnen: »Gott hat es so gewollt É«
Doch ich war jetzt bereit für den Todesstoß. »Ja, es war Gottes Wille, dass ich Eure Ansichten unter dem Licht seiner Sonne anhören durfte. Und merkt Euch: Gott mag keine Auslegungen seines Willens!«
Zornbebend verließ Zamora sein Empfangszimmer und warf die Tür mit solcher Gewalt hinter sich zu, dass kunstvoll bemalte Kacheln von der Wand splitterten. Beim Herausgehen erblickte ich noch eine antike Büste, der mit einem harten Gegenstand unlängst die Nase abgeschlagen worden war. Ein Mann von brachialer Gewalt - doch gegen einen mit Finesse geführten Degen hat eine grobe Klinge keine Chance É
Als ich im fahlen Morgenlicht den Hof des Palastes betrete, richte ich meine Augen dankbar auf den reinen Himmel. Das noch schwache Licht ist dabei, die Finsternis zu verdrängen. Esquivel, Juan, Sanchez und auch Valdes haben Wort gehalten. »Wir sorgen dafür, dass wir vollständig nach Malaga reisen!«, waren die letzten Worte, bevor wir uns gestern Abend zu Bett begaben. Zamora hatte seine letzte Trumpfkarte am Abend zuvor umsonst gespielt, als er versuchte, die Männer für ein Abschiedsgelage zu gewinnen. Nun sehe ich mit großer Zufriedenheit, dass keiner fehlt. Statt des Gespannes stehen sechs kräftig aussehende Pferde, aufgereiht wie an einer Perlenschnur, hinter Sanchez. Nach Passieren des Westtores werden wir den direkten Weg nach Martos nehmen. Mit unserer kleinen, beweglichen Karawane sollten wir die kleine Stadt im Westen von Jaén noch am Abend erreichen. Ich werfe einen Blick hinauf zur dunklen Palastfassade. Die schwarzen Löcher der Fenster wirken wie die leeren Augen eines Totenschädels. Ich bin mir sicher, dass hinter einem der toten Augen Zamora unseren Abmarsch beobachtet.
Der silberne Horizont im Osten verheißt einen glänzenden Reisetag.
»Ist Silber nicht die Farbe der Hoffnung und der Zuversicht?«, fragt mich Juan unerwartet.
»Nicht nur das, Juan. Sie symbolisiert auch Reinheit und Ehrenhaftigkeit - wie dieser Morgen!«

26. Dezember 1648

A
m Morgen des siebten Tages nach unserer Abreise aus Jaén taucht vor uns ein schroffer, violett schimmernder Bergkegel auf. Es ist der burggekrönte Felsen von Loja.
Wiederum sind wir der völligen Erschöpfung nahe. Ein weiteres Unwetter, das dritte inzwischen auf unserer Reise nach Malaga, hat uns vor zwei Tagen mit Platzregen, Schnee, Hagel und Sturmböen heimgesucht, und die einzige Brücke vor Loja, über den Rio Genil, überflutet. Wir waren uns nicht mehr sicher, ob diese uns und unsere Pferde tragen würde, und so waren wir zum Abwarten gezwungen. Los Infiernos heißt der Übergang über den Genil, an dem die Reise wieder einmal zu scheitern drohte, da die Schlucht, durch die der Fluss tobt, ohne eine stabile Brücke an dieser Stelle unüberwindlich ist.
Die Unsicherheit zwang uns, bei den Hirten Unterschlupf zu suchen. In zugigen Stallungen, zwischen Ziegen und Maultieren warteten wir auf Wetterbesserung.
Doch der Wettergott war uns geneigt. Die Sonne siegte rasch über die schwarzen, bizarren Wolkenbänke, und der hohe Wasserstand des Genil sank damit deutlich. Die Verblüffung wuchs, als in den Nachmittagsstunden Giuliano die Nachricht überbrachte, die Brücke über den Rio Genil sei sicher und damit wieder passierbar É
Später, als ich es eigentlich geplant habe, erreichen wir nun den Ort, in dem ich hoffe, den Herzog von Nájera nicht nur endlich einzuholen, sondern ihm auch gegenübertreten zu können. Aufgrund von Hinweisen, die wir von reisenden Händlern kurz vor Loja bekamen, hat der Herzog mit seiner Eskorte in der Burg Quartier bezogen. Ich bin mir allerdings sicher, dass ihn das schwere Wetter dort genauso festgehalten hat wie uns bei den Hirten.
Mein klarer Entschluss bestimmt den Verlauf der weiteren Reise. Ich entscheide, mit Esquivel vorauszureiten, um einem denkbaren schnellen Aufbruch des Herzogs nach Süden zuvorzukommen. Wir haben mit Erfolg große und kleine Abkürzungen auf der Reisestrecke vorgenommen, um ihm den Vorsprung Stück für Stück abzukneifen. Wir kürzten aber nicht nur die Wege, sondern auch unsere Nachtruhe. Des Herzogs erkennbarer Plan, mich abzuhängen, ist damit gescheitert. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob er damit rechnet, dass wir ihn auf jeden Fall einholen wollen. Jedenfalls, das Kalkül von Jaén soll ihm nicht mehr glücken. Nun liegt nur noch eine knappe Meile zwischen ihm und mir.
»Was wird der Herzog machen, wenn er uns zu Gesicht bekommt?«, fragt Esquivel.
»Wenn er abgefeimt ist, wird er uns willkommen heißen und seine Erleichterung darüber ausdrücken, einem Irrtum unterlegen zu sein. Lässt er allerdings seinen Unwillen uns gegenüber sichtbar werden, wäre das ein Zeichen, dass er die Anweisungen des Königs weiter missachten wird. Das wäre allerdings eine Lage, die ich mir nicht wünsche«, antworte ich.
Wollen und Wagen trieb mich über die Brücke, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ob sie uns tragen würde É
Die mächtigen Mauern von Loja können sich in ihrer Stärke mit denen von Jaén messen. Hastig, ohne dass Esquivel es sehen kann, ziehe ich ein kleines Pergamentstück aus dem Ärmel und befrage meine Notizen. (wird fortgesetzt)

Artikel vom 03.03.2005