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Wie kann es daher sein, dass schon kurz darauf, als die Straßen noch Sturzbächen glichen, der Aufbruch erfolgte? Je mehr ich darüber nachdenke, umso mehr komme ich zu der Überzeugung, dass Zamora mir etwas vorspielt. Wo liegen aber die Gründe? Warum dieses Theater? Was will der Herzog damit bezwecken? Was bedeuten Zamoras Worte, dass sich die Dinge geändert haben könnten, seit der Herzog von Nájera eine Botschaft aus Madrid erhielt? Anscheinend werde ich erst einmal darüber schlafen müssen, um Antworten auf dieses Verwirrspiel zu finden.
»Señor Diego!«, vernehme ich die krächzende Stimme von Sanchez, der hinter mich getreten ist. Ich drehe mich um. »Seht dort hinten É«
Sanchez nimmt Richtung auf den östlichen Eckpunkt der Areals, dort, wo hinter einer Bretterwand der Pferdemist gelagert wird. Verwundert sehe ich ihn an, als er davor stehen bleibt. Ein riesiger Haufen Pferdeäpfel türmt sich vor uns auf. Kurzerhand streift sich Sanchez die Ärmel seiner Jacke hoch und greift entschlossen in das obere Drittel des Haufens hinein, sodass sein Arm fast vollständig darin verschwindet. Kurz darauf zieht er ihn wieder heraus, riecht daran und zerquetscht den Dung in seiner Faust, sodass er durch seine Finger quillt. »Keine drei Tage! Eher zwei!«
»Was meinst du damit?«, frage ich erstaunt.
»Der Pferdemist É!«
»Was ist mit ihm?«
»Nicht älter als drei Tage.«
»Du meinst?«
»Es ist so, wie ich sage. Abzüglich der Menge der letzten drei Tage obendrauf. Dazu die Festigkeit und Farbe. Kein Zweifel. Hier stand vor drei Tagen mindestens die doppelte Anzahl von Pferden in den Stallungen wie bei unserer Ankunft.«
»Was sagt der Knecht?«
»Kein einziges Wort. Sein Blick reichte mir. Ich denke, der Pferdemist gibt uns nun einige Antworten auf offene Fragen.«
Mein Blick geht den Berg von Pferdemist rauf und runter. Von Goldblond über Goldbraun bis hinab nach Korkbraun reicht die Farbskala des Dunghügels. Schönheit ist wirklich nur ein Aspekt, und manchmal sogar ein unwichtiger. Das schöne Goldblond steht diesmal nicht für Geld und Luxus - sondern für das Symbol des Glücks. Freudig schlage ich Sanchez auf die Schulter. »Nicht nur in Gottes Acker ist der Mist von Nutzen É«
»Warum will man uns glauben machen É?«
»Psst! Kein Wort darüber!«, unterbreche ich Sanchez. »Morgen trinkst du ordentlich mit den Knechten, und sie werden dir deine Beobachtungen bestätigen. Abgemacht?«
»Abgemacht!«
»Dann lass uns endlich unser Quartier beziehen.«

18. und 19. Dezember 1648

I
ch lasse meine Gefolgschaft wissen, dass ich sie sofort in den Stallungen des Palastes zu treffen wünsche. Die Hidalgos Pablo, Valdes, José, Niño und Sanchez sind schon vor Ort, als ich zusammen mit Esquivel und Juan den Ort der Begegnung betrete. Sie stehen wie Wachen Spalier. Giuliano stößt kurz nach uns als Letzter hinzu. Obwohl einige frisch, erholt und ausgeschlafen aussehen, andere dagegen blass, dafür mit dunklen Ringen unter den Augen, blickt niemand in der Runde fröhlich drein. Es herrscht gespannte Stille. Das, was ich zu verkünden habe, ist kurz, doch dafür deutlich und für alle Ohren bestimmt.
»Männer! Ich habe mich entschlossen, morgen in aller Frühe nach Malaga aufzubrechen. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass wir den Hafen rechtzeitig erreichen. Ich habe einen Boten über Granada nach Malaga vorausgeschickt, der dem Herzog von Nájera einen Brief übergeben wird. Aus diesem wird er die Wahrheit über uns und unser Schicksal erfahren. Ich bin mir sicher, der Brief wird dem Herzog noch vor seinem Eintreffen in Malaga übergeben. Die Galeone wird daher so lange an der Mole auf uns warten, bis wir an Bord gegangen sind. Frische Pferde stehen bereit, dazu kommen heute noch Lasttiere, mit denen wir schneller vorankommen werden. Nachdem Juan wieder auf den Beinen ist, werden wir unser Gespann hier zurücklassen und nur das Notwendigste durch die Sierra Arana mitnehmen. Der Aufbruch in den Süden erfolgt morgen bei Sonnenaufgang. Ich erwarte, dass alles bereitsteht!«
Kaum habe ich geendet, als Pablo und Niño zu tuscheln beginnen. Während ich Valdes Anweisungen für die Packpferde erteile, treten die beiden Hidalgos an mich heran. Niño ergreift das Wort: »Señor Diego, wir sind der Meinung, dass wir noch zwei, drei Tage hier rasten sollten. Wir fühlen uns noch geschwächt. Außerdem sollten wir noch den Kurier abwarten, der von Malaga kommend morgen hier erwartet wird. Vielleicht ist Eure Mission É«
»Weder das eine noch das andere ist für die Pläne unseres Königs von Bedeutung. Wir reisen morgen!«, schneide ich ihm schroff das Wort ab.
Mit zornigen Gesichtern bewegen sich beide nach draußen. Es ist höchste Zeit, dass wir den Intrigenpalast, der sich zudem in ein Hornissennest zu wandeln beginnt, verlassen É
Ungewöhnlich war, dass Commandante Zamora uns trotz seiner Abwesenheit schon am ersten Abend mit einem ausgesuchten Mahl verwöhnen ließ. So auserlesene Speisen sind selbst in Madrid nicht ohne weiteres zu haben. Doch die vorgeblich uneigennützige Zuwendung, gegen die sich nach außen nicht das Geringste sagen ließ, hatte natürlich ihren Hintersinn. Ein Leben im Luxus tauscht man nicht so schnell gegen die Entbehrungen der Straße. Dies hatte ich an der Reaktion meiner Hidalgos deutlich gesehen. Die Augen wurden mir vollends geöffnet, als mir der treue Valdes am frühen Nachmittag berichtete, dass sich, mit Billigung Zamoras, fünf Frauen in Pablos Gemach eingefunden hätten, die für alle wilden Wünsche zu haben waren. Während Niño, Pablo und auch José sich mit den Huren die Nacht hindurch vergnügten, blieb der Rest, wenn auch äußerst unruhig, standhaft.
Sanchez und Esquivel gebührt dagegen großer Dank für ihre Pfiffigkeit, mit der sie tagsüber endgültig Licht in das Dunkel von Zamoras Machenschaften brachten.
Sanchez hatte gegen Mittag mithilfe eines Fässchens Rotwein die Knechte zum Plaudern gebracht. Zwischen Säuferkumpanei und Gerührtheit bekam er bestätigt, was ihm schon die Pferdeäpfel am Abend zuvor verrieten: Die Eskorte war tatsächlich erst vor drei Tagen abgereist. Wertvoll war zudem der Hinweis, dass der Herzog, trotz der Warnungen von allen Seiten, wiederum mit schwerem Tross nach Malaga aufgebrochen war.
Esquivel dagegen war schon frühmorgens in die Stadt gewandert, um weitere Hinweise zu sammeln, während ich im Palast den Überblick zu behalten versuchte.
Am frühen Nachmittag zeichnete sich ein klares Bild ab. Esquivel hatte geschickt die Torwachen befragt und herausgefunden, dass der Tross des Herzogs das Westtor passiert hatte, was bedeutet, dass er keinesfalls den Reiseweg nach Granada eingeschlagen hat. Er gilt nach den Unwettern, die besonders heftig südlich von Jaén getobt hatten, für Fuhrwerke noch immer als unpassierbar. Der Pass Puerto de Zegri, so konnte Esquivel herausbekommen, ist verschüttet. Alles zusammen bestärkte meinen Verdacht, dass wir um jeden Preis in Jaén aufgehalten werden sollten.
Ich beschloss, Zamora zur Rede zu stellen. Es dauerte eine Weile, bis ich zu ihm vorgelassen wurde, und so ging ich in meinem Salon auf und ab - die rechte Hand zur Faust geballt. In der fünften Stunde des Nachmittags war es dann so weit.
Der Commandante streckte mir seine Hand entgegen, als begrüße er einen alten Freund. »Ich hoffe, Ihr habt Euch schon ein wenig erholt und werdet mit Euren Leuten die Zeit in Jaén ausgiebig genießen.«
»Ja, wir fühlen uns erholt, dank Eurer Fürsorge und Großzügigkeit.«
»Ich versuche immer, meine vornehmen Gäste aus dem fernen Madrid durch unvergessliche Stunden zu beglücken«, stieß er in die Fanfare.
Ich zwang mich gelassen zu wirken. »Wir benötigen jedoch noch etwas mehr von Euch!«
Die Füße gespreizt, wie ein Fechter auf dem Turnierplatz, baute er sich vor mir auf: »So? Was begehrt ihr von mir?«
»Im Namen unseres Königs: Wir benötigen frische Pferde und zusätzliche Lasttiere für unsere Weiterreise nach Malaga!«
Zamora schritt vor mir auf und ab, als würde er meinen Worten keine Beachtung schenken. Erst nach einer Weile antwortete er mir. »Grundsätzlich steht dem nichts entgegen, doch überlegt es Euch gut, Señor Velázquez. Ihr überschätzt Eure eigene Gesundheit und die Eurer Gefolgschaft.«
»Ich brauche niemanden, der mich berät. Ich brauche nur Eure Unterstützung!«
Zamoras Stimme wurde hart. »Was wollt Ihr noch?«
»Ich möchte von Euch erfahren, welchen Weg der Herzog mit seinem Tross genommen hat«, bemerkte ich und bemühte mich, seine Augen zu fixieren. Es gelang mir nicht, da er sich halb abwendete.
»Natürlich den nach Granada«, sagte er ungewöhnlich leise.
»Granada? Tobten dort nicht die Unwetter besonders heftig?«, versuchte ich ihn zu verunsichern.
»Nun, es sei denn, er hat es sich überlegt und ist nördlich an Granada vorbei gleich nach Cartagena gezogen.«
Ich zwang mich zur Besonnenheit. »Ich gewinne den Eindruck«, sagte ich verhalten, »Ihr verfolgt eine falsche Spur.«
Der Commandante zeigte sich für einen Moment verwirrt und fand wohl nicht die richtige Replik. Doch dann drehte er sich zu mir um und ging zum Angriff über: »Ihr werdet keine Reise nach Malaga tun, da Euch die Voraussetzungen fehlen. Eure Mannschaft ist am Ende. Eure Männer werden die Strapazen nicht überstehen! Euer Ehrgeiz treibt sie nur in den Tod.«
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 02.03.2005