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Kurz darauf wird die Tür geöffnet, und ich betrete einen Empfangsraum, der mit weißen Marmorplatten belegt ist und in der Mitte von einem dunkleren, muschelförmigen Marmorbrunnen beherrscht wird. Der Bote verschwindet, und ich lausche der kleinen Fontäne, die in der Mitte der Schale ihr Wasser spielerisch nach oben treibt. Das Violett der Wände wirkt beruhigend auf mich und dämpft das schwere Pochen in meinen Schläfen.
Nach einer Weile öffnet sich die Tür, durch die der Bote verschwunden ist, und ich sehe in ein Gesicht. Ein Gesicht mit starrem Ausdruck wie eine grobe Mauer, von der Stirnpartie bis zum Kinn extrem niedrig, dabei breitflächig und gedrungen. Ein Gesicht, das unfähig ist, Gefühle auszudrücken. Der Mann, dem dieses Gesicht gehört, ist jemand, der mit beiden Beinen fest auf dem Boden steht, doch sein angeborenes Misstrauen nicht verstecken kann. Ich ahne, dass meine Wünsche an dieser Mauer zu zerschellen drohen. Schwerfällig tritt er näher.
»Señor Velázquez! Ich bin der Commandante dieses Palastes. Ihr geltet als vermisst. Im Guadalquivir ertrunken! Ein Wunder hat Euch wohl errettet?«
»Wer erzählt Euch so einen Bockmist?«
Der Commandante lässt sein Haupt auf die Brust sinken und blickt auf meine lehmverkrusteten Stiefel. »Reiter, die der Herzog von Nájera während der Unwetter nach Bailén schickte, um Euch sicher hierher zu geleiten. Sie beobachteten Euch nahe der Furt, als die Fluten des Guadalquivir einen gewaltigen Erdrutsch auslösten. Ihr und Eure Gefolgschaft wart danach nicht mehr gesehen. Der Herzog war nach den übereinstimmenden Berichten seiner Männer überzeugt, dass Ihr und Euer Tross in den Fluten umgekommen seid. Wir alle trauerten É«
Mit kurzen Worten schildere ich ihm die Tage des Siechenbetts in Bailén. Mein Gesicht ist am Ende wohl bleich wie das eines Gespenstes. Jedenfalls stockt Zamora und weicht einen Schritt zurück, als er mir in die Augen blickt.
»Der Herzog wird sich umso mehr freuen, mich wieder unter den Lebenden zu wissen«, sage ich ernst. »Ich nehme an, er ist noch Gast in diesem Palast.«
Ein Lächeln umspielt für einen kurzen Moment Zamoras Mund, das jedoch nicht die Augen erreicht. Er breitet seine Arme aus, als wollte er mich bei den Schultern fassen. »Seid froh, Señor Velázquez, Ihr lebt!«
»Ist der Herzog noch hier?«, will ich wissen.
»Nein! Nach den Berichten von den Geschehnissen am Guadalquivir drängte er zum raschen Aufbruch. Er wollte keinen weiteren Tag untätig warten.«
Ich schüttle ungläubig meinen Kopf. »Warum so früh? Warum hat er nicht abgewartet, um sicher zu gehen É?«
»Das fragt ihn am besten selbst. Das Drängen des Herzogs, rasch nach Malaga zu kommen, ist jedoch allzu verständlich.«
»Ich nehme an, Ihr kennt die Gründe.«
»Das Unwetter hat die Straßen und Pässe der Sierra Nevada teilweise unpassierbar werden lassen. Die Reisezeiten in den Süden verdoppeln sich unter diesen Umständen. Er wollte rechtzeitig an Bord der Galeone sein. Er beeilt sich wohl, die Anker lichten zu lassen É«
»Wann genau ist er aufgebrochen?«
»Das war vor gut einer Woche«, antwortet der Commandante ohne jede Regung.
Auch ich tue mein Bestes, um unbeeindruckt zu erscheinen. »Hat er eine Nachricht für mich hinterlassen?«
»Nein, hat er nicht.« Es klingt ganz sachlich. »Niemand in seiner Eskorte rechnete damit, dass Ihr noch am Leben seid.«
»Die Sonne steigt auf, ob der Hahn kräht oder nicht!«, antworte ich spitz. »Verratet mir eines: Warum nur hat er sich auf eine solch ungewisse Beobachtung verlassen? Ich kann nicht glauben, dass dies der einzige Grund seines überhasteten Aufbruchs ist.«
»Ich kenne keinen weiteren«, erklärt der Commandante und blickt an mir vorbei.
Wenn das Gesicht dieses Menschen der Spiegel seiner Seele ist, aus dem sich für den Bruchteil eines Moments auch die Wahrheit ablesen lässt, so habe ich Zamora soeben bei einer Lüge ertappt. »Warum verheimlicht Ihr mir den wahren Grund? Als Gesandter im Auftrag des Königs verlange ich, von Euch die Wahrheit zu erfahren!«
Der Gesichtsausdruck Zamoras ist nach wie vor undeutbar. »Ihr werdet gut daran tun, Señor Velázquez, Euch mit dem Gedanken vertraut zu machen, dass sich die Dinge geändert haben könnten, seit der Herzog von Nájera eine Botschaft aus Madrid erhielt.«
Im gleichen Moment sehe ich vor meinem inneren Auge den Mann mit der Sturmhaube, sein langschößiges Wams mit der Kurierschärpe des königlichen Palastes darüber, der uns nach dem Pass von Despeñaperros einholte und Valdes um ein Getränk bat É
»Mit Verlaub«, entgegne ich frostig, »alles, was in meiner bescheidenen Macht steht, werde ich dafür einsetzen, um die Dinge wieder so zu ändern, dass der Wille unseres Königs erfüllt wird.«
»Das walte Gott«, meint er ebenso fromm wie unverbindlich.
»Commandante Zamora! Gott mag es auch gefallen, wenn Ihr, auf dessen Schultern die Verantwortung für unser Wohlergehen lastet, alles unternehmt, dass wir so schnell wie möglich wieder weiterreisen können.«
»Wozu die Eile? Ihr seht geschwächt aus. Ihr würdet die weiteren Strapazen über die Sierra nicht durchstehen. Lasst Euch und Eure Männer hier gesund pflegen. Ihr werdet jede erdenkliche Hilfe von mir dazu erhalten«, sagt er plötzlich freundlich.
Ich traue meinen Ohren nicht. Es erstaunt mich, dass er sich auf einmal großartig verpflichtet, uns Gutes zu tun, und erweckt in mir sofort Misstrauen.
»Gut! Dann sorgt für mich und meine Gefolgschaft. Wir wünschen fürs Erste ein heißes Bad, frische Kleidung, ein kräftiges Mahl und ein bequemes Lager.«
»Es soll an nichts fehlen!«, entgegnet Zamora wie selbstverständlich und gibt Order an seine Bediensteten. Danach wendet er sich wieder an mich: »Meister Velázquez, leider müsst Ihr heute an der Tafel auf mich verzichten. Wichtige Geschäfte verhindern meine Teilnahme.«
»Ich bedaure es außerordentlich, ohne Eure Gesellschaft auskommen zu müssen.«
Mit unerwarteter Höflichkeit und leiser Stimme sagt er: »Folgt meinem Diener. Ihr bezieht die Räumlichkeiten, die vor Euch der Herzog von Nájera bewohnt hat.«
Flüchtig verneigen wir uns voreinander, bevor er den Empfangssaal durch eine der vier Türen wieder verlässt.
Nachdem ich die geradezu luxuriösen Räumlichkeiten in Augenschein genommen habe, begebe ich mich zu meiner Gefolgschaft. Sie hat mit dem Gespann inzwischen im rückwärtigen Innenhof Einzug gehalten und erwartet mich mit großer Neugier.
»Männer!«, sage ich feierlich. »Dem Herzog von Nájera wurde glauben gemacht, wir seien tot. Die Fluten des Guadalquivir hätten uns mitgerissen und in aller Ewigkeit Schlamm über unsere Leichen gelegt. Der Herzog und seine Eskorte sind daher nach Schilderung des Commandante Zamora vor sieben Tagen nach Malaga aufgebrochen.« Ich lege eine Pause ein, um das Gemurmel verebben zu lassen. Plötzlich spüre ich, wie sie alle an meinen Lippen hängen. »Wir werden den Geschichtenerzählern eine Lehre erteilen. Wir werden sie mit unserer Lebendigkeit erschrecken!«, rufe ich aus.
Ein erstauntes Geraune schwillt an.
»Was werden wir nun tun? Wie geht es weiter?«, ruft Valdes.
»Wir werden es uns gut gehen lassen. Erst einmal pflegen, stärken und ausschlafen. Morgen werde ich entscheiden, wann wir nach Malaga weiterreisen.«
Das Stimmengewirr ist jetzt kaum noch zu bändigen. Besonders die Hidalgos tun laut ihren Unmut kund. »Wir werden noch verrecken! Wir sind am Ende unserer Kräfte! Seht uns doch an!«
»Silencio! Silencio! Morgen, nachdem wir ausgeschlafen haben, werden wir weiter sehen. Bis dahin ist nichts entschieden. Also nehmt erst einmal Quartier!«
Die Stimmung wird sofort besser, als Knechte beginnen, den schwächelnden Juan in den Palast zu tragen, die Pferde zu versorgen und tatkräftig zuzupacken, um das Reisegepäck vom Gespann abzuladen. Während alle anderen dem rückwärtigen Teil des Palastes zustreben, um sich die Quartiere zeigen zu lassen, bleibt mein Fuhrmann Sanchez bis zum Schluss, um die Versorgung seiner Pferde zu beaufsichtigen. Auch mich zieht es noch nicht zu dem verlockenden heißen Bad, da ich einen unbestimmten Drang verspüre, mich erst umsehen zu müssen.
Die Stallungen sind bis auf Wechselpferde, die Pferde des Commandante, seiner Wachen und Kuriere, leer. Nichts lässt darauf schließen, dass hier erst vor kurzem eine große Eskorte einquartiert war. Ich begebe mich in SanchezÕ Nähe. Als ich neben ihm stehe, flüstere ich ihm zu: »Versuche herauszubekommen, wann genau der Herzog mit seiner Eskorte abgereist ist.«
Sanchez nickt stumm und beginnt mit einem der Knechte ein Gespräch. Ich betrachte währenddessen den Boden des Innenhofes. Er ist frisch gestampft. Keine einzige Pfütze ist verblieben. Nur die frischen Hufspuren unserer Pferde und die Spur der Räder des Karrens sind darauf auszumachen É
Eigentlich ein wunderbarer Platz zum Verweilen, geht es mir durch den Kopf. Unvermittelt verfalle ich ins Grübeln. Wenn uns Männer des Herzogs vom gegenüber liegenden Ufer beobachtet haben, dann hat sie der Ritt dorthin und zurück genauso strapaziert wie uns. Die gesamte Eskorte muss hier gleichermaßen völlig durchnässt, frierend und auch geschwächt angekommen sein. Die Männer hatten sicher mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen wie wir auch É (wird fortgesetzt)

Artikel vom 01.03.2005