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Gelenke leiden
in der Freizeit

Aufklärungskampagne der WHO

Von Dietmar Kemper
Ulm (WB). Deutschland droht eine »körperlich lahme Gesellschaft« zu bekommen. So lautet das Zwischenfazit der Kampagne »Jahrzehnt der Knochen und Gelenke«, die die Weltgesundheitsorganisation WHO im Jahr 2000 ausrief und noch bis 2010 dauert.

»80 Prozent der Deutschen haben Schmerzen in Rücken und Gelenken, die Zahl der Erkrankungen hat massiv zugenommen«, sagte der internationale Koordinator der WHO, Karsten Dreinhöfer, dieser Zeitung. Er ist Geschäftsführender Oberarzt der Orthopädischen Abteilung der Uniklinik Ulm. Im vergangenen Jahr seien 180 000 Hüft- und 120 000 Kniegelenke eingesetzt worden, sechs Mal mehr als vor zehn Jahren. Durch Krankmeldungen als Folge von Rückenproblemen entstehe in Deutschland ein volkswirtschaftlicher Schaden von 20 Milliarden Euro, sagte Dreinhöfer.
Wegen der wachsenden Zahl älterer Menschen und des Bewegungsmangels müsse bis zum Jahr 2050 mit doppelt so vielen Schenkelhalsbrüchen gerechnet werden wie zur Zeit. Dreinhöfer fordert eine stärkere Berücksichtigung von Rheumatologie und Orthopädie in der Ausbildung von Ärzten. »Diese beiden Bereiche machen nur drei Prozent des Lehrangebotes aus, obwohl Erkrankungen auf diesen Feldern 40 Prozent der indirekten Gesundheitskosten durch Arbeitsunfähigkeit und frühzeitige Verrentung verursachen«, erläuterte Dreinhöfer. Die WHO-Kampagne habe deutlich gezeigt, dass in der Medizin dringend umgedacht und die starke Konzentration auf Herzkreislauferkrankungen und Krebs korrigiert werden müsse.
Auch die Deutsche Rheuma-Liga schlägt Alarm. Bereits fünf Millionen Deutsche litten an Arthrosen und Arthritis, also an Gelenkschmerzen durch Verschleiß. Wegen einiger Sportarten wie Skateboard- und Snowboardfahren treffe es immer häufiger auch junge Leute, berichtete die Sprecherin der Deutschen Rheuma-Liga, Susanne Walia.
Bei Sprüngen mit Skate- oder Snowbord können Teile des Knorpels herausgesprengt und der Knochen darunter gestaucht werden. »Früher riskierten die Menschen ihre Gelenke bei körperlich schwerer Arbeit wie im Bergbau, heute gefährden sie die Gesundheit in der Freizeit«, beklagte Dreinhöfer.
An der WHO-Aufklärungskampagne zur Verringerung der Muskel- und Skeletterkrankungen beteiligt sich auch die Gütersloher Bertelsmann Stiftung. Deren stellvertretende Vorstandsvorsitzende Liz Mohn ist Schirmherrin der deutschen Sektion der Bone-and-Joint-Decade (»Jahrzehnt der Knochen und Gelenke«). Ziel ist es, die Bevölkerung für Haltungs- und Belastungsschäden durch unvorteilhafte Sportarten zu sensibilisieren.

Artikel vom 18.02.2005