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Schreckliche Vorbilder in der Realität

Internationale Filmfestspiele in Berlin noch ohne eindeutigen Favoriten

Von Elke Vogel
Berlin (dpa). Endspurt im Rennen um den Goldenen Bären: Vor der Preisverleihung morgen sind zwei sehr politische Filme die Favoriten der 55. Berlinale.
Idris Elba (re.), der selbst Wurzeln in Ruanda hat, mit Oris Erhuero in »Sometimes in April«.Foto: AP

In der amerikanisch-ruandischen Produktion »Sometimes in April - Jedes Jahr im April« von Raoul Peck müssen sich zwei Brüder vom Stamm der Hutu in Ruanda der Vergangenheit stellen. Das Festivalpublikum reagierte gestern erschüttert auf das schonungslos erzählte Drama über den Völkermord der Hutu an den Tutsi im April 1994. »Alle Geschichten, die der Film erzählt sind wahr, sie haben schreckliche Vorbilder in der Realität«, sagte der Regisseur.
Hollywoodschauspieler Idris Elba, der selbst ruandische Wurzeln hat, spielt einen Hutu-Soldaten, der sich dem Militärdienst entzieht, um seine den Tutsi angehörende Frau und seine Kinder zu retten. Während der Unruhen wird er von seiner Familie getrennt. Zehn Jahe später will er einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen und besucht das UN-Tribunal, vor dem sich sein Bruder für die aufhetzerische Rolle verantworten muss, die er und andere Journalisten in diesem Krieg spielten. Ebenso beeindruckt war das Publikum von dem Film »Paradise Now« über zwei palästinensische Selbstmordattentäter.
Chancen auf den Preis als beste Schauspielerin hat die 26- jährige Julia Jentsch (»Die fetten Jahre sind vorbei«). Sie spielt in Marc Rothemunds Film »Sophie Scholl - Die letzten Tage« auf bewegende Weise die Münchner Studentin, die als Mitglied der Widerstandsgruppe »Weiße Rose« 1943 von den Nazis zum Tode verurteilt wurde.
Der 79-jährige Franzose Michel Bouquet hätte für seine Titelrolle in »Le promeneur du Champ de Mars - Der späte Mitterrand« die Auszeichnung als bester Darsteller verdient. Ebenso Idris Elba in »Sometimes in April«. Stark ist auch das Schauspielerensemble aus der südafrikanischen Carmen-Verfilmung »Carmen in Khayelitsha«. Die siebenköpfige Jury unter Vorsitz von Regisseur Roland Emmerich hat nun die Qual der Wahl.
Bei einem insgesamt eher schwächeren Festivaljahrgang machte sich der Fehlen vieler großer Stars besonders unangenehm bemerkbar. Die französische Diva Catherine Deneuve konnte sich als einer der wenigen Promis deshalb vor Aufmerksamkeit kaum retten. Hollywoodschauspieler Keanu Reeves enttäuschte die am roten Teppich wartenden Fans, als er nur wenige Autogramme gab. George Michael und Kevin Spacey nahmen sich mehr Zeit.
Die Schauspieler Gérard Depardieu, Glenn Close und Ian McKellen sagten dafür kurzfristig ganz ab. Für heute wurde noch Will Smith erwartet, der als ausgewiesener Berlin-Fan allerdings die meisten Deutschlandpremieren seiner Filme ohnehin in der Hauptstadt feiert.

Artikel vom 18.02.2005