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Künftig ein
Leben lang lernen

Uni-Rektor will Politiker aufrütteln

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Veraltet ist der klassische Dreiklang »Lernen - Arbeiten - Ruhestand« - lebenslanges Lernen (LLL) lautet das Gebot der Zukunft. Über das Wie und Warum sprach jetzt Uni-Rektor Dieter Timmermann.

»Wirtschaftsförderung läuft nur über Bildung, und ohne Bildung ist Innovation nicht denkbar.« Mit deutlichen Worten an die Adresse Politik, aber auch an die Unternehmensführer versucht Timmermann Deutschlands Entscheidungsträger aufzurütteln. Große Hoffnungen aber, dass den Worten nach langer Diskussion Taten folgen, schien der Wirtschaftswissenschaftler nicht zu hegen.
Timmermann hat eine von Bundestag und Bundesrat eingesetzte Kommission zur »Finanzierung lebenslangen Lernens« geleitet. Deren Ergebnisse stellte er auf Einladung des Beruflichen Weiterbildungsverbundes Bielefeld in der Sparkasse (Schweriner Straße) vor. Nur SPD und FDP hätten reagiert, sagt Timmermann verwundert. Dabei gehe es um Sein oder Nichtsein der Wirtschaft.
Mit eindeutigen Fakten, ermittelt in neun neutralen Gutachten (darunter drei echten Forschungsarbeiten), belegt die Kommission, dass deutsche Unternehmen international abgehängt wurden: »Nur 20 Prozent der Unternehmen investieren in die Weiterbildung - beim Rest tut sich absolut nichts«, moniert Timmermann entsetzt.
Untersuchungen zeigen: Die arbeitende Bevölkerung wird immer älter - doch nur deutsche Firmen entledigen sich ihrer älteren Mitarbeiter. Im Ausland aber sorgt Innovation dank Weiterbildung für Wirtschaftswachstum. »Hier dagegen wird unverdrossen der Irrtum verbreitet, dass Senioren nicht mehr lernfähig seien.«
Mit fatalen Folgen: »Unser Wissen veraltet.« Mit den Kenntnissen von gestern aber ist heute, geschweige denn morgen, der Anschluss an die Hochtechnologie nicht zu schaffen. »Deutsche Unternehmen investieren bevorzugt in Maschinen, statt in Köpfe.«
Der Bildungsexperte glaubt nicht, dass bis 2010 für Forschung und Entwicklung drei Prozent (bislang: 2,5) des Bruttonationaleinkommens aufgewendet werden, wie es Kanzler Gerhard Schröder versprach: »Viele Firmen verlegen ihre Forschungsabteilungen ins Ausland, wo das Klima innovationsfreudiger ist«, hat die Kommission beobachtet.
Schon die Verteilung der für Bildung verfügbaren Gelder ist fehlerhaft: 50 Prozent werden in die Ausbildung der 18- bis 26-Jährigen investiert - eine zur Bewältigung aktueller Probleme untaugliche Praxis. Die Kommission plädiert für eine über alle Altersstufen gleichmäßig verteilte Förderung, die im Erlass eines Erwachsenenbildungsfördergesetzes (EBiFG) gipfeln soll. »Absolut unverständlich: Wie uns schien aus rein privaten Gründen lehnen dies die Staatssekretäre im Bildungsministerium ab.«
Die Investition in zukunftsträchtiges Wissen müsse mit der Geburt beginnen: »Wieso fördert der Staat den Eigenheimbau? Wieso unterstützt er nicht die Einrichtung von Bildungskonten?« Allerdings dürfe man nicht den Fehler begehen, Erspartes auf staatliche Leistungen anzurechnen, wie das in der Arbeitslosenpolitik vorexerziert wird: »Dann zerstört man den Anreiz zum Sparen.«
Falls die Politik - wider Erwarten - doch noch geruht, sich mit den Erkenntnissen der Wissenschaft ernsthaft zu beschäftigen, womöglich gar ihr Handeln auf nachprüfbare Fakten zu stützen: Das Material der Kommission wird in Kürze, übersichtlich geordnet, ins Netz gestellt.
www.BWB-Bielefeld.de

Artikel vom 24.02.2005