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Als Juanas Augen daraufhin zu leuchten beginnen, fühle ich, dass ich die richtigen Worte gewählt habe. Den Ernst der Situation durchlebe ich wider Willen, da in Wirklichkeit in mir schon seit Wochen eine angenehme Fröhlichkeit tobt, die durch die Aussichten auf große Abenteuer ständig genährt wird. Ich fühle, dass mir in Rom glänzende Tage bevorstehen, dort, wo ich vor genau zwanzig Jahren jenes Glück erlebt hatte, in der Arena der besten Talente auftreten zu dürfen. Ich habe seither immer wieder Sehnsucht nach der Freiheit dieses großen Ortes verspürt.
Ich zeige auf die noch leere Truhe neben mir, eine schwere hölzerne Reisekiste, die für meine persönlichen Habseligkeiten bestimmt ist. »Wir sollten beginnen, die letzten Sachen zu verpacken. Die Zeit wird sonst noch knapp.«
»Wann kommt das Fuhrwerk?«, fragt Juana.
»In weniger als zwei Stunden. Als du noch schliefst, habe ich mitbekommen, dass Juan und Esquivel schon die Gepäckstücke zum Haustor geschleppt haben«, antworte ich und öffne den Deckel der Kiste. Sie ist geräumig genug für einen kleinen Reisehaushalt und kann an zwei Klappgriffen gut angehoben werden.
Juana prüft noch einmal das Innere auf Reinheit. »Was soll ich dir zuerst reichen?«
»Erst die Unterteilung. Reich mir die Brettchen!«
Wir schieben gemeinsam drei passende Holzbrettchen als Trennwände von oben her ein. Sie werden derart gesteckt, dass in der Kastenmitte ein ausreichend breiter Schacht entsteht. Er reicht gut bis zur halben Kistenhöhe, sodass noch ein Zwischenboden eingelegt werden kann. Hier finden die Dinge Platz, die ich nicht mit einem Griff zur Hand haben muss.
»Erst die Tücher, die Decke und das Kissen. Danach die Waage dort mit dem Gewichtssatz, das Stövchen, das Dreibein, die Wasserkanne, die Becher und die Löffel«, repetiere ich aus dem Kopf. Während ich die blitzblanken Gerätschaften verstaue, reicht mir Juana noch Servietten, Zucker- und Salzbeutel. Sodann übergibt sie mir eine versilberte längliche Dose mit Spiegel, Kamm, Rasiermesser und kleiner Schere zur Nagelpflege und am Ende noch wertvolle Briefschaften und Papiere. Die anschließenden Abteilungen sind für meine komplette Wechselkleidung bestimmt. Dann ist der Zwischenboden nötig. Obenauf kommen die Dinge, die ich sofort griffbereit haben muss. Unter anderem ein schwerer wetterfester Umhang, ein paar feste Stiefel, das Beil, der Dolch, ein Kurzschwert, aus bester Toledoklinge gefertigt, Bleikugeln, das Pulverhorn, dazu zwei sehr sorgfältig und kunstvoll gearbeitete Radschlosspistolen.
Prüfend nehme ich sie noch einmal in meine Hände. »Ich bin mir sicher, sie werden gute Dienste leisten.«
»Das werden hoffentlich die Knechte übernehmen.«
»Stell dir vor, ich entdecke eine großartige griechische Figur und habe all das königliche Geld schon ausgegeben, dann ist so ein kunstvoll gearbeitetes Pistol ein gutes Kaufargument É« Ich reiche Juana eine davon. »Lege sie bitte in die Kiste, diese hier muss ich immer griffbereit haben.«
Sie tut es bereitwillig. »Willst du noch die Schrauben und den Dreher obenauf legen?«
Ich nicke. Schließlich werde ich zur Sicherheit jeden Abend die Kiste an den Dielenplanken befestigen. »Es ist alles platziert«, stelle ich zufrieden fest.«
»Passt dort noch das spanisch-italienische Wörterbuch dazu?«
»Das stecke ich zu den Karten und den Urkunden in meine Umhängetasche. Dann habe ich es schneller zur Hand und kann unterwegs ein wenig mein Italienisch verbessern.«
Juana klappt den Deckel herunter, schließt den Metallbügel, drückt das Vorhängeschloss zu und gibt mir den abgezogenen Schlüssel. »Jetzt wirst du dich noch ein wenig stärken. Die Familie wartet schon auf uns.«
Wir begeben uns in das Untergeschoss, wo Francisca mit meinem Schwiegersohn und den drei ältesten Enkelkindern in der Stube auf uns warten. Warmer Kakao, verschiedene Brotsorten, Backwaren, Spiegeleier mit Speck, gebratene Hühnerbrust, dazu Ziegenkäse und Äpfel ergeben ein kräftiges Frühstück.
Als die helle Glocke der Klosterkirche die siebte Stunde schlägt, meldet ein Diener die Ankunft des Gespanns. Juana erhebt sich als Erste vom Tisch. Eine Ehrfurcht erregende Ruhe liegt über ihrem Gesicht, als würde sie auf irgendeinem großen Wasser treiben, gänzlich widerstandslos, zufrieden, vom Strom hinweggetragen zu werden. Plötzlich hebt sie die Hand und zeichnet mir ein Kreuz auf die Stirn, während eine Träne über ihre Wange kullert. Die Hand hält mitten in der Bewegung inne, und ich bange, dass die furchtbare Feierlichkeit kein Ende findet É
Die Lichter, die noch trübe hinter den Gläsern gebrannt haben, gehen aus. Ich will dem Schatten des Raumes endlich entkommen. Es ist an der Zeit. Ich öffne die Tür und trete in den Hof hinaus. Ein klarer Himmel empfängt mich. Das Hausgesinde ist in Reih und Glied zum Abschied angetreten. Die Stimmung ist auch hier gedämpft, wenngleich eher aus Mangel an Interesse gegenüber diesem morgendlichen Schauspiel. Dagegen stampft Bobadilla zur Begrüßung mit seinen Hufen auf das Hofpflaster.
Das mächtige Pferdegespann wartet mit seinem massiv gebauten Transportwagen direkt vor dem Tor. Alles ist verstaut. Die Hidalgos werden am Buen-Retiro-Palast zu uns stoßen. Esquivel und Juan de Pareja können nur mühsam ihre Pferde ruhig halten. Die prächtigen Tiere schnauben und wiehern vor Unruhe, als wollten sie die Strecke nach Malaga in einem Tage schaffen. Das eine hat gerade einen dampfenden Haufen Pferdeäpfel abgeworfen und damit eine Bettlerin zurückweichen lassen, die sich herangewagt hatte. Juan scheucht sie weg, aber ich werfe ihr eine Münze zu, in der Hoffnung, dass dies uns Glück bringen möge É

29. November 1648

D
ie aufgehende Sonne erstrahlt mit kaltem Licht über der Sierra Morena. Die Straße vor uns windet sich zwischen spärlich bewachsenem Felsengestein bergan. Eine staubbedeckte Maultierkarawane zieht nordwärts herab, während Kolonnen von dampfenden Saumtieren, Transportpferden und Fuhrleuten mühsam die Höhe nach Süden erklimmen. Ich gewinne den Eindruck, als flüchteten unförmige, ungelenke Käfer die Serpentinen zum Pass von Despeñaperros hinauf, um der Meseta, der riesigen kastilischen Hochebene, zu entkommen. Die Sierra Morena verläuft in Ost-West-Richtung und liegt wie ein unüberwindlicher Riegel vor den südlichen Regionen Spaniens. Der Reiseweg westlich davon in den Süden, über Ciudad Real, ist zwar etwas bequemer, dafür jedoch einige Tagesetappen weiter. Hinzu kommen die langsamen, schwer beladenen Fuhrwerke, von denen die Straßen von Malaga herauf nach Madrid in diesen Monaten verstopft sind. Da in Katalonien der Krieg tobt, Barcelona in den Händen der Franzosen ist und die Pest in den Häfen von Alicante, Valencia, Cartagena bis hinunter nach Almeria wütet und Sevilla ebenfalls vom schwarzen Tod heimgesucht wird, werden offensichtlich alle Handelsgüter, die sonst über die östlich gelegenen Häfen verschifft und angelandet werden, nach Süden gebracht. So sind auch wir gezwungen, statt direkt nach Barcelona oder Alicante zu reiten, erst nach Malaga zu reisen, um uns von dort an Bord einer Handelsgaleone nach Genua bringen zu lassen É
Ich blicke den Pass hinauf und halte Ausschau nach einer stierblutroten Plane. Vergeblich, was mich allerdings sehr beruhigt. Unser eigenes Gespann, versehen mit frisch gewechselten Pferden, muss den Pass noch in der Morgendämmerung vor allen anderen überquert haben. Ich drängte die Fuhrleute und die Eskorte zum frühen Aufbruch, da nach Bericht der Wechselstation von Almuradiel der Herzog von Nájera mit seinem Begleittrupp und den vier Gespannen erst gestern Nachmittag die Passhöhe überschritten hat. Somit dürften sie uns nur noch einen halben Tag voraus sein. Ein Kurierreiter, der von Granada über Jeán nach Madrid unterwegs ist, bestätigte mir die Angabe der Karawanserei. Nach meiner Berechnung werden wir sie demnach heute Abend in Bailén, der letzten Wechselstation vor Jaén, eingeholt haben.
Mich selbst trägt ein unscheinbares, aber kräftiges Pferd auf seinem Rücken, seitdem wir Almuradiel vor gut einer Stunde verlassen haben. Für einen Moment denke ich an Bobadilla. Ich musste sie schon nach der ersten Etappe in La Guardia gegen ein frisches Pferd wechseln. Nun wird die Gute wieder im gewohnten Stall ihren Hafer fressen É
Sechs Tage sind seit unserer Abreise aus Madrid vergangen, und die Anstrengung der vergangenen Tage werden mir durch die Schmerzen meines Hinterteils nachhaltig in Erinnerung gebracht. Schon nach dem zweiten Tag spielte ich mit dem Gedanken, es mir auf dem Gespann gemütlich zu machen. Fünfzehn Stunden im Sattel waren für den Beginn doch etwas zu heroisch. Aber ich wollte mir vor Esquivel und meinem Diener Juan Pareja kein Blöße geben. Weiß der Teufel, man gewöhnt sich an alles!
Nicht besser ergeht es Juan, der hinter mir reitet. Esquivel dagegen hat seinen Hintern offenbar mit einem Bärenfell ausgelegt. Jedenfalls kommen keine Klagen über seine Lippen. Die Gespräche sind während des Tages schon längst verstummt, da jeder mit sich zu kämpfen hat. Ersatzweise wird abends in der Herberge meist alles nachgeholt, bis uns die Müdigkeit verstummen lässt. Wenigstens hat das Wetter gehalten. Kein einziger Tropfen Regen fiel, was für diese Jahreszeit als ungewöhnlich gilt. Trotzdem, es wird Zeit, dass wir Jeán erreichen, wo wir mindestens vier Tage Rast machen werden.
Dafür haben Augen und Geist viel Zeit, sich die Gegenden, durch die wir reiten, einzuprägen. (wird fortgesetzt)

Artikel vom 22.02.2005