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»Harakiri« in Mayrhofen
Auf Österreichs steilster Piste gibt's kein Halten - nur für Ski-Asse geeignet
Der Puls rast, Adrenalin durchströmt den Körper von der Haarspitze bis zu den Zehen. Skifahren und Snowboarden war gestern, heute ist »Harakiri« angesagt.
Wie in den Vergnügungsparks, deren Achterbahnen immer steiler und schneller werden, ist nun auch auf der Skipiste der Wettbewerb um Rekorde eröffnet. Galten bislang die »Streif« bei Kitzbühel und die Schladminger »Planai« als Höllenritte, so setzt Mayrhofen im Zillertal noch einen drauf. »Harakiri« heißt die schwarze Piste, die sich an jene fünf Prozent der Ski-Asse wendet, die auf der Suche nach neuen Herausforderungen sind. Für alle anderen gilt: Finger weg, Lebensgefahr! Mit 78 Prozent Gefälle ist die »Harakiri«-Piste die steilste in Österreich. Schade nur: Winterwanderer kommen nicht in den Genuss, die Könner bei der Schussfahrt zu bewundern, denn die Region erschließt sich nur per Sessellift und Ski.
Wer den Knorren-Sessellift im Skigebiet am Penken verlässt, sieht schon die Warnschilder, die sich an alle Zweifler wenden. Man sollte sie ernst nehmen, auch wenn es die ersten Meter recht gemächlich losgeht. Nichts ist zu ahnen, geschweige denn zu sehen von der gähnenden Tiefe, die gleich wartet. Über die erste Kuppe - und steil hinab! So mancher bremst da erst mal bis in den Stand. Ängstliche Blicke verraten die Gedanken: »Worauf habe ich mich nur eingelassen?« Denn hinter der nächsten Kuppe wartet der Abgrund! Nahezu senkrecht mutet die 150 Meter lange Piste an, die man keinesfalls gerade herunterrasen darf. Kurze Schwünge sind Pflicht, denn unten stehen Bäume und wartet eine Linkskurve auf die tollkühnen Läufer. Nicht alle erreichen stehenden Fußes den Auslauf des Steilhangs. Besonders Snowboarder, die nur über eine Bremskante verfügen, ziehen es zuweilen vor, auf dem Allerwertesten talwärts zu rutschen. Allgemeines Staunen über einen Könner, der die »Harakiri« sogar im klassischen Telemark-Stil bezwingt.
Was für die Urlauber den ultimativen Kick bedeutet, ist auch für die Männer vom Pistendienst eine absolute Herausforderung. Ständig sind Skiguides vor Ort, die in der Not helfen, wenn den Läufer doch noch der Mut verlässt. So mancher landet in den Fangzäunen. Das Verletzungsrisiko ist hoch! Leichtsinn und Selbstüberschätzung werden mit übelsten Blessuren bestraft! Nicht offiziell, aber hinter vorgehaltener Hand wird zugegeben: Die Zahl schwerer Skiverletzungen ist seit der Harakiri-Eröffnung gestiegen. Im Januar bezahlten zwei Skifahrer ihren Wagemut mit einer Querschnittslähmung.
Auch der Pistendienst sieht sich vor extreme Herausforderungen gestelllt: Keine Raupe wäre in der Lage, dieses Gefälle zu meistern. Die elf Tonnen schwere Kässbohrer-Maschine musste mit einem 450-PS-Motor ausgerüstet werden, denn auf ihrem Heck ist eine Winde angebracht. Oberhalb der »Harakiri«-Piste wird ein Stahlseil verankert, daran kann sich das Gefährt dann langsam hinablassen. Der Fahrer muss mit speziellen Gurten gesichert werden, damit er nicht auf die Windschutzscheibe fällt. Und damit immer reichlich Schnee liegt, wurden spezielle Turmkanonen installiert. Thomas Albertsen

Artikel vom 26.02.2005