25.02.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 



Ich willige ein, obwohl es bedeutet, dass ich den Rest des Weges von einer Staubwolke eingehüllt sein werde. Die Sonne beginnt sich hinter dichten Schleierwolken zu verstecken. Sofort kriecht die Kälte an den Füßen empor. Gott seiÕs gedankt, nur knappe zehn Meilen sind noch zu bewältigen.
Der Weg, der unmerklich abwärts führt, will kein Ende nehmen. Wir kommen durch eine wunderschöne Lösslandschaft. Wieder bietet sich ein herrliches Panorama. Prächtige, herbstlich gelb gefärbte Terrassen schieben sich übereinander. Mit ihren geschwungenen Randlinien wirken sie wie erstarrte Wellen. Eine packende Erscheinung aus Formen und Farben, voll erstaunlicher Kontraste. Sie verschwinden urplötzlich und verschwimmen zu einem bleiernen Grau, als sich der Himmel über uns schwarz färbt. Eine Wolkenwalze schiebt sich drohend von Westen heran. Für einen kurzen Augenblick halten wir an, um wetterfeste Kleidung überzuziehen.
Die ersten heftigen Böen erfassen uns. Die Plane über dem Wagen knallt. Sanchez und Giuliano werfen in Eile zusätzliche Stricke darüber, um ein Einreißen zu verhindern. Kurz darauf öffnet der Himmel seine Schleusen. Eiskalter Regen fegt waagerecht heran. Der schmierige Löss umgibt uns von allen Seiten. Der Weg wird entsetzlich: erst ausgewaschene Steine, dann lehmiger Schlamm, in dem die Pferde schnell bis zu den Knöcheln versinken. Dazu krumme, ausgefahrene Wagenspuren, die Mensch, Tier und Wagen alles abverlangen. Das Wasser durchfeuchtet auch den letzten trockenen Zipfel. Am schlimmsten ist es an den Füßen. Das Wasser rinnt stetig an einem herab und sammelt sich langsam in den Stiefeln. Die Füße frieren, bis man jegliches Gefühl für Ross und Reiter verliert. Am Ende hilft nur noch die Peitsche, um die Pferde anzutreiben.
Kurz vor Einbruch der Nacht erreichen wir die ersten Erdhütten von Bailén. Die wenigen armseligen Hütten liegen am Schnittpunkt der beiden Straßen, die von Madrid nach Granada und von Jeán nach Córdoba führen.
Es gibt nur ein einziges aus Stein und Lössziegeln errichtetes Gebäude. Auf dem Schild über dem Eingang prangt der klangvolle Name Casa del Rey Moro. Wenn aus dem Kamin nicht eine Rauchsäule entweichen würde, hätte ich diesen gottverlassenen Ort für ausgestorben gehalten.
Links und rechts der Herberge befinden sich die Stallungen. Obwohl mir der Regen in die Augen peitscht, versuche ich im Halbdunkel den Tross des Conde auszumachen. Sanchez lenkt das Gespann direkt in das offene Tor der rechten Stallung hinein. Durch das Dach tropft der Regen, doch das unentwegte Prasseln auf Kopf, Gesicht und Schultern hat aufgehört. Triefend vor Nässe gleite ich aus den Sattel und sinke zu Boden. Ich habe den Eindruck, meine Beine sind steifgefroren. Esquivel und Juan geht es nicht anders. Stumm sehen wir uns an und haben vermutlich dieselben Gedanken É
Weder ein Wagen ist zu sehen noch Pferde. Niemand scheint mehr hier zu sein, doch das ist für den Moment, angesichts unseres Zustandes, völlig belanglos. Während sich die Fuhrleute und die Hidalgos um die Tiere kümmern, betrete ich mit Esquivel und Juan die Herberge.
Männer und Frauen, Junge und Alte, Krieger, Kaufleute, Sklaven und Verbannte, Boten, Kundschafter und Spione, Diebe, Mörder, Brautwerber und Pilger, Gesunde und Kranke - wer weiß, wer sich hier schon alles in die wenigen schmutzigen, kleinen Zimmern eingemietet hat. Doch nach all den schweren Reisestrapazen habe ich weder Zeit noch Grund, wählerisch oder rücksichtsvoll zu sein.
Dem Besitzer, ein gedrungener Mann mit strengen, maskenhaften Gesichtzügen, die durch seine Lockenpracht gemildert werden, drücke ich wortlos ein paar polierte Münzen in die Hand, worauf die vorhandenen Zimmer von seinen Knechten für uns frei gemacht werden. Die erbärmliche Kleidung derer, die sich dort eingenistet hatten, wird noch übertroffen von ihrer Art, sich zu betten: Decken sind über faules Stroh gebreitet, das ich von Juan eilig entfernen lasse É
Wenig später, in warme, trockene Kleider gehüllt, während die nassen Sachen über dem Kaminfeuer zu entwässern beginnen, erkundige ich mich beim Wirt nach der verfehlten Eskorte. Seine Antwort ist vage und wolkig. Zwei Dukaten kostet es mich zusätzlich, um auf meine Fragen hin seinen Aussagen eine verfängliche Richtung zu geben.
»Was sagen die Sterne?«
»Ein Gestirn von seltener Schnelligkeit zog hier vorbei und verlor dabei etwas, was für einen edlen Gast bestimmt war.«
»Weiter! Was geschah?«
»Sie brachen eilig auf, als wollten sie zur Hölle fahren.«
»Wann?«
»Zur Stunde der untergehenden Sonne.«
»Was habt Ihr sonst noch gehört?«
»Es ging wohl um eine wichtige Order, die mit einem Halbgott besprochen werden muss, der unlängst die gleiche Richtung nahm.«
»Strengt Euch an. Was habt Ihr sonst noch gehört?«
»Das schnelle Gestirn berichtete von Euch. Mehr kann ich dazu nicht sagen É«
Zusätzliche Fragen bringen keine weiteren Erkenntnisse. So begnüge ich mich mit dem, was der Mann widerwillig preisgab. Trotzdem bleibt für mich der wahre Grund des raschen Aufbruchs ein Rätsel É
Das Beste an der Herberge ist die Guiñapos, eine kräftige Suppe aus verschiedenen Gemüsearten und ein paar Tropfen des hier gepressten wertvollen Olivenöls. Das Ganze wird ergänzt durch unsere Vorräte, die wir reichlich auf dem Wagen mitführen.
Danach schleppe ich mich in das vor Schmutz starrende Zimmer und falle auf dem harten Lager in einen kurzen tiefen, Schlaf É
Die Nacht ist dennoch unruhig. Die Menschen um die Herberge herum betteln unentwegt um Einlass. Wanzen plagen uns. Ich liege im Halbschlaf, als ich wie vom Blitz getroffen von meinem Lager hochfahre.
»Die Karte! Esquivel! Verdammt, die Karte!«
»Was É was ist É?«
»Die Wegekarte! Los, bring sie mir.«
Halbtrunken vor Schlaf, schleppe ich mich nach draußen in den Schankraum, wo im Kamin das Feuer unterhalten wird. Ein Blick genügt. Ich lausche auf das Heulen des Windes und das Prasseln des Regens. Ein Schauer geht mir über den Rücken.
»Was habt Ihr?«, fragt mich Esquivel, der mir gefolgt ist.
»Wie konnte ich nur É Wie konnte ich das vergessen!«
»Was konntet Ihr É«
»Der Guadalquivir! Die Brücke - der Puente del Obispo wird erst im Frühjahr repariert. Uns bleibt nur die Furt!«
»O Gott! Das Unwetter É«
»Wenn wir Glück haben, kommen wir vielleicht noch hindurch. Das war sicher der Grund, weshalb der Conde so überstürzt weiterfuhr! Los, wir packen zusammen.«
Es ist weit nach Mitternacht, als alles wieder verschnürt ist, die Pferde gesattelt sind und ich mich endgültig entscheide, trotz Sturm, heftigen Regens und übler Verfassung noch in der Dunkelheit zum Guadalquivir aufzubrechen. So waren wir bereit, alles zu teilen: Erfolg oder Misserfolg É

6. Dezember 1648

D
as Tosen in meinen Ohren hat die letzte halbe Meile stetig zugenommen.
»Guadalquivir! Die Furt!«, ruft Juan neben mir. Langsam nähern wir uns der steilen Uferböschung.
»O mein Gott!«, höre ich Esquivel entsetzt ausrufen.
Ich versuche mir das Wasser aus dem Gesicht zu wischen und starre durch den peitschenden Regen in die Tiefe. Meine Augen weiten sich. Beängstigende, brodelnd dahinschießende, braungelb gefärbte Wassermassen bahnen sich mit donnernder Gewalt dort unten ihren Weg. Für den Moment verschlägt es mir die Sprache. In meinem Kopf drehen sich Mühlsteine. Was ist, wenn wir nicht rechtzeitig nach Jaén kommen? Was wird sein, wenn wir die Galeone in Malaga verpassen? Was, wenn die Mission É?
Ohnmächtiger Zorn steigt gleichzeitig in mir hoch, der jeden klaren Gedanken verdrängt. »Wir müssen hindurch! Es bleibt uns nichts anderes übrig«, brülle ich gegen den Wind an.
Valdes dirigiert sein Pferd durch knöcheltiefen Schlamm an meine Seite. Mit seinen Händen bildet er einen kleinen Trichter, durch den er mir zuruft: »Señor Velázquez! Wir können dieses reißende Wasser nicht einfach so überqueren und das andere Ufer erklimmen. Es ist schon äußerst gefährlich, die aufgeweichte Uferböschung hinabzugehen É«
Seine Worte treffen mich wie Schwerthiebe. Ich denke an den höllischen Weg, der uns in den Morgenstunden bis hierher alles abverlangt hat. Jeder Fuß, jede Meile eine Tortur für Mensch und Tier! Stunden, die einem das Mark aus den Knochen saugen, obwohl die Distanz zwischen Bailén und der Furt keine fünf Meilen beträgt.
»Seht Euch nach einer Möglichkeit um! Wir müssen hinüber. Heute noch!«, treibe ich ihn an, wohl wissend, dass die Aussicht auf Erfolg denkbar gering ist.
Der Himmel hat seine Schleusen geöffnet. Der Wasserlauf ist zum Strom angeschwollen. Rinnsale und harmlose Zuläufe haben sich in Bäche und diese wiederum in Flüsse verwandelt, die ihr Bett tief in den lehmigen Boden graben.
Pablo ist dabei, das Ufer flussaufwärts abzureiten. Auch Valdes entfernt sich, um die Böschung zu inspizieren. Wie gelähmt bleibe ich auf meinem Pferd sitzen und lasse den eiskalten Regen auf mich niederprasseln.
Wenig später winke ich Valdes an meine Seite und frage: »Kommen wir hinüber?«
»Nein! Unmöglich!«
»Wir hätten gestern sofort weiterreisen müssen É«

(wird fortgesetzt)

Artikel vom 25.02.2005