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Wurde auch Zeit«, höre ich Esquivel neben mir seufzen. Ich klopfe ihm auf die Schulter und sage: »Es war doch unter uns so abgemacht É«
»Ja, ja, ich weiß! Es wird erst dann eine Ruhepause eingelegt, wenn wir unser Gespann wieder eingeholt haben É«
»Nun ist es so weit!«, bestätigt Juan noch einmal.
Als wir näher kommen, steigt Bratenduft in die Nase. Über einem Feuer werden Spieße gedreht. An dem einen steckt ein Hase und auf dem zweiten ein Huhn.
»Respekt! Ihr seid gut vorangekommen«, spreche ich meine Anerkennung aus. »Wie geht es den Pferden?«
»Keine Beschwerden. Es geht ihnen gut«, erwidert Sánchez, einer der beiden Fuhrleute, und weist mit einer ausladenden Geste auf die grasenden Tiere.
»Wie ist das möglich? Wie seid ihr durch das Geröllfeld im Fluss gekommen?«
»Geröllfeld?«, wiederholt Pablo, einer der Hidalgos, überrascht.
»Nun aber raus mit der Sprache. Sonst glaube ich noch an eine Hexerei!«
»Nein, nein, Señor Velázquez. Gottes Wille hat uns sicher hierher gelenkt. Es gibt einen zweiten Weg den Pass herunter.«
»Ein zweiter Weg? Ihr macht Scherze.«
»Ihr erinnert euch sicher. Passabwärts, etwa ab dem letzten Drittel, zweigt er ab.«
»Ich muss blind gewesen sein.«
»Man übersieht ihn gern. Auf dem Fels davor ist mit einem Meißel eine Pyramide eingeritzt. Man kann das Zeichen kaum übersehen.«
»Aber den Weg dahinter«, antworte ich.
»Das ist bedauerlich, Señor Velázquez. Hinter dem Felsbrocken öffnet sich eine kleine, trockene Schlucht, die besser zu befahren ist als die Ufer entlang des Guadalimar.«
»Wie dem auch sei. Gottlob, wir sind heil über den Pass gekommen, und alle sind wohlauf«, rufe ich freudig und lasse mein Pferd steigen, um so meine Zufriedenheit zu unterstreichen.
»Es ist angerichtet!«, ruft jemand vom Wagen herüber. Es ist Giuliano, der zweite Fuhrmann. Wir nennen ihn den roten Falken, da ein feuerroter Haarschopf sein Raubvogelgesicht ziert.
Wir sitzen ab und übergeben die Pferde an Valdes, José und Niño. Als wir um den Wagen herumgehen, sehen wir, dass der rote Falke einen Klapptisch aufgestellt hat, auf dem in der Mitte, eingerahmt von neun Bechern, zwei Weinkrüge stehen. Auf der Tischplatte schichten sich Holzteller voll Brot, Käse, Oliven, Zwiebeln, Knoblauch und Orangen.
Valdes Valmaseda, eine straffe Erscheinung mit glänzendem schwarzen Haar und kantigem Kopf, teilt zu meiner Überraschung Wachen ein.
»José! Niño! Pablo! Ihr sichert unsere Tafelfreuden. Danach wechseln wir euch ab.« Ohne ein einziges Murren wird die Anweisung befolgt.
»Die Gegend hier ist nicht sicher. Ich habe das Gefühl, wir werden beobachtet. Des Nachts möchte ich mich hier nicht aufhalten.«
Ich blicke in die Runde, ohne etwas Auffälliges zu entdecken. Mein Magen knurrt, und so lasse ich mich vorsichtig auf einen der Klappstühle nieder, damit die Schmerzen erträglich bleiben. Schmunzelnd folgen alle meinem Beispiel.
»Fehlt nur noch ein Vordach!«, sage ich zu Valdes.
»Ah! So eine Rast ist mit Gold nicht aufzuwiegen«, erwidert er fröhlich.
Mein Blick geht hinauf zum Himmel. »Habt Ihr oben auf dem Pass die Wolkenwand bemerkt?«
Valdes blickt nach oben. »Habe ich. Ich denke, wir werden es im Trockenen bis Bailén schaffen.«
Nach dem ersten Bissen und einem kräftigen Schluck roten Weines entspannen sich die geschundenen Glieder wie von selbst.
»Was denkt Ihr? Wie weit wird der Herzog uns noch voraus sein?«, nehme ich das Gespräch wieder auf.
»Sie werden kurz vor Bailén sein und vielleicht jetzt schon Quartier beziehen.«
»Na denn, hoffentlich finden wir noch ein Bett für die Nacht in diesem Nest«, antwortet Esquivel.
»Wir werden die Betten mit dem Schwert erobern wie seinerzeit Granada«, scherzt Juan dazwischen.
Ich trinke den zweiten Becher leer und denke an die Personen, die ich gehofft hatte, nicht um mich versammelt zu sehen. Der Conde Barojo wurde mir noch in Madrid als ein finsterer, eiskalter Machtmensch geschildert, während der Herzog von Nájera von all denjenigen, denen er geschadet hat, als falsche Schlange bezeichnet wird. Einzig Esquivel, Juan und auch Valdes erscheinen mir als Lichtblick.
»Wer hat eigentlich das Sagen ab morgen, wenn wir nach Jeán weiterziehen?«, fragt plötzlich Valdes.
»Jeder hat seine Befehle. Ich die meinen, der Herzog die seinen«, erwidere ich.
Juan, der aufgestanden ist, wirft mir hinter dem Rücken von Valdes stehend einen fragenden Blick zu. Valdes dagegen erhebt erneut seine etwas kratzende Stimme. »Und wie wird sich unser Conde Barojo verhalten?«
»Warten wir Õs ab. Man kann nicht alles vorhersehen. Jedenfalls sollten wir Großmut walten lassen und jedem Hahn sein Nest gewähren, wo er seine Hennen wärmen kann«, sage ich gelassen.
Während alle so tun, als hätten sie die Beleidigung überhört, nähert sich Sanchez, der wie gebannt nach Norden blickt.
»Ein Reiter!«, meldet er mit erregter Stimme. Im gestreckten Galopp donnern Reiter und Pferd heran. Kurz vor unserem Wagen bringt er das Pferd zum Stehen.
»Gebt mir was zu trinken!«, fordert er uns brüsk auf. Der Mann trägt eine Sturmhaube, ein langschößiges Wams und die Kurierschärpe des königlichen Palastes. Ein Gesetz besagt, dass den Kurierreitern der Krone bei Androhung der Todesstrafe jede Hilfe gewährt werden muss.
»Wohin des Weges?«, fragt Esquivel und reicht ihm einen Becher.
»Südwärts, wie Ihr unschwer erkennen könnt. Und Ihr, wohin führt Eure Reise?«
»Nach Jaén É«, antwortet Esquivel.
Der Mann lächelt verächtlich, leert genüsslich den Becher, wirft ihn Esquivel vor die Füße und führt sein Pferd gemächlich um unseren Wagen herum. »Wohin, fragte ich?«
Esquivel sieht mich Hilfe suchend an.
»Unsere Reise führt uns nach Malaga«, antworte ich an seiner statt.
»Euch kenn ich doch. Seid Ihr nicht Meister Velázquez?«
»Und wenn ich es nicht sein sollte?«
Der Kurier blickt sich um und mustert auffällig jeden Einzelnen von uns. »Ich vermisse den Conde Barojo. Wo befindet er sich?«
Mir gelingt ein frommer Augenaufschlag, der meine Verblüffung überdeckt. »Könnt Ihr euch als Kurier des Königs legitimieren?«, frage ich betont ruhig. Doch derart düpiert zu werden, will der Mann auf dem Pferd nicht ertragen.
»Habt Ihr Augen im Kopf! Ich trage die Schärpe É«
»Langsam! Eure Legitimation!«, unterbreche ich ihn schroff und lege meine Hand an den Pistolengriff. Er scheint sich zu besinnen, zieht aus der Stulpe seiner Uniformjacke unwillig einen gefalteten Brief und reicht ihn mir. Ein Blick darauf genügt. Er trägt das Siegel des Königs. Ich reiche ihm das Schreiben zurück. »Wir hoffen, unseren Tross heute noch in Bailén einholen zu können. Ihr solltet ihn dort finden«, gebe ich nun bereitwillig Auskunft. Der Kurier hebt arrogant zwei Finger zum Gruße und gibt wortlos seinem Pferd die Sporen. Leichthufig scheint das Tier über den Boden zu fliegen. Schon sind Pferd und Reiter zu einer Einheit verschmolzen wie ein Kentaur.
»Er wird es noch zuschanden reiten!«, bemerkt Juan ärgerlich.
Während an der Tafel die Plätze gewechselt werden, entferne ich mich einige Meter vom Rastplatz und lasse mich auf einem kleinen Grashügel nieder, um meine Beine auszustrecken. Ich schließe für einen Moment die Augen. Meine Gedanken kreisen. Was hat das zu bedeuten? Was hat der Kurier dem Conde zu überbringen? Eine neue Order? Das Ende der Mission? Zu was ist ein Mensch fähig, wenn er an der Tafel des Königs um einen einzigen Stuhl zurückversetzt wird? Sinnt er auf Rache? Warum ist gerade er für diese Reise ausgewählt worden?
Mein Verdacht verstärkt sich, dass mir der Conde von bestimmten Kreisen bei Hofe als Aufseher beigegeben worden ist. Doch gleich darauf versuche ich etwas Vorteilhaftes darin zu sehen. Vielleicht wird er gar nach Madrid zurückbeordert. Wer weiß É
»Wir müssen von hier verschwinden!«, murmelt Juan plötzlich sorgenvoll neben mir und reißt mich aus meinen Gedanken.
»Warum so eilig?«
»Esquivel hat durch sein Sehrohr dort drüben Männer entdeckt. Er hat den Eindruck, es werden immer mehr É«
»Droht uns Gefahr?«, frage ich Esquivel, als ich wieder beim Wagen bin, der von den anderen hastig beladen wird.
»Moriskos! Sicher aus dem Banditendorf Santa Elena. Zwei Meilen von hier. Ich rate zur Vorsicht. Was mich misstrauisch macht, ist der Umstand, dass kein weiteres Fuhrwerk aufschließt.«
»Der Pass wird noch immer blockiert sein.«
»Das wissen sicher auch die Moriskos. Lasst uns aufsitzen.«
»Ich wollte Banditen schon immer in offener Schlacht gegenübertreten«, spottet Niño mit seinem Degen in der Faust.
»Das kommt nicht infrage!«, ruft Valdes mit nur zum Teil gespielter Empörung.
Ich lenke ihn auf das, was mich bedrückt. »Was denkt Ihr über den Kurier?«
»Schlechte Nachrichten haben Flügel.«
»Ja, er schien sehr in Eile zu sein É«, erwidere ich nachdenklich.
Valdes schlägt vor, dass er mit seinen Leuten an der Spitze reitet, während ich mit Juan und Esquivel die Nachhut bilden soll. (wird fortgesetzt)

Artikel vom 24.02.2005