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Ihn plagte überdies das Schweißfieber, sodass wir befürchteten, Gott der Allmächtige wollte ihn zu sich holen. Erst am achten Tag besserte sich plötzlich sein Zustand. Am gleichen Tag traf ein Reiter von Süden her ein und berichtete, der Wasserstand des Guadalquivir sei wieder so weit gesunken, dass die Furt passierbar sei.
Die Nachricht wirkte wie ein Wunder auf unser Gemüt. Ich empfand sie wie den Sturz aus der Ewigkeit zurück in die Zeit. Sie spornte uns an, trotz unserer körperlichen Schwäche das Leben wieder in die Hand zu nehmen. So entschlossen wir uns, am nächsten Tag erneut nach Jaén aufzubrechen. Dem noch kränkelnden Juan wurde auf dem Gespann ein Lager eingerichtet. Ich wollte keinen einzigen Tag länger in dem Rattennest Bailén bleiben.
Als größtes Hindernis nach dem Unwetter erwies sich wiederum die Furt durch den Wasserlauf des Guadalquivir. Die reißenden, schlammigen Fluten hatten den Lauf des Flusses erheblich verändert. Auch andere Reisende, die uns entgegen kamen, hatten Schwierigkeiten, die Pferde das unterspülte Ufer hinab und über den Fluss zu führen. Am Tag zuvor, so hieß es, sei das Wasser noch zu hoch gewesen, sodass die Pferde schwimmen mussten, ein gefährliches Unterfangen in der immer noch reißenden Flut. Somit waren wir dazu verdammt, mit langen Stangen erst die Tiefen des Flussbetts auszuloten, bevor wir das Gespann sicher auf das andere Ufer bringen konnten. Wertvolle Zeit ging verloren. Zeit, die meine Gelassenheit und Geduld langsam zermürbten. Meinen Männern erging es ebenso. Waren wir erst froh darüber, die Krankheit heil überstanden zu haben, begann nun die Ungewissheit, ob wir überhaupt noch rechtzeitig ankommen würden, unsere Gemüter zu martern É
Trotz aller Anstrengungen brauchen wir einen ganzen Tag für nur fünf Meilen, was auf die elenden, vom Wasser tief zernarbten Wege zurückzuführen ist. Doch im gleichen Moment, da sich in der klaren Luft jeder Hügelrücken scharf vom Horizont abzeichnet und die langen Schatten der zahllosen Ölbäume wie Zähne riesiger Raubtiere wirken, verspüre ich Lust, das schöne Antlitz der Erde zu küssen.
Kurz darauf zeigt Esquivel nach vorn. Ein Lächeln umspielt seinen Mund. Ich nicke stumm. Auch ohne Karte ist unser Bestimmungsort Jaén mit seinem Castillo de Santa Catalina und seinen Kirchen in südlicher Richtung auszumachen. Mächtige Mauern verbinden Festung und Bergfried. Dazwischen glänzen die Dächer der Stadt silbern in der feuchten Abendluft. Getrieben von Neugier und Erwartung, kommen wir dem ersehnten Zielort langsam näher.
»Was glaubt Ihr, Señor Diego? Ob der Herzog von Nájera und seine Eskorte dort in den Mauern noch auf uns warten?«, fragt mich Valdes und trifft damit den Nerv aller Dinge.
»So war es abgemacht.«
»Wie entscheidet Ihr Euch, wenn er wider Erwarten abgereist sein sollte?«
»Dann reisen wir einfach hinterher«, antworte ich betont gelassen.
»Keine É keine Rast É?«, fragt er zögerlich.
»Wir werden sehen.«
Alles scheint sich auf den Weg gemacht zu haben, um noch vor der hereinbrechenden Dunkelheit durch die Tore in die Stadt zu kommen: Bauern, Flagellanten, Händler, dazu noch einige Leichenträger, etliche von diesen mit maurischem Turban. Als wir das Nordtor passieren, entdecke ich rechter Hand eine eingelassene Marmorplatte, in der ein Datum eingemeißelt ist. »25. November 1246!«, sage ich vor mich hin. Nach einigem Grübeln ist mir klar: Es muss der Katharinentag sein, jener Tag, an dem der Maurenfürst Alahmar das Kastell an König Ferdinand übergeben hat. Die mächtigen Mauern sind seither Hüter und Verteidiger des Kastilischen Reiches É
Vorbei an der im Bau befindlichen Kathedrale stoßen wir auf das Monasterio Real de Santo Domingo, ehedem ein maurischer Palast und nun, wie ich an dem Wappen auf dem Portal erkennen kann, Sitz der örtlichen Inquisition. Menschen verstopfen die Gassen, die vom Palast wegführen. Sie verlassen einen kreisrunden Vorplatz, auf dem weißer Rauch in den Himmel steigt. Die johlende Masse hatte an einem menschenfressenden Scheiterhaufen Gefallen gefunden. Ich wende meinen Blick von dem noch glühenden Aschenberg weg, aus dem ein Pfahl und die Reste eines verbrannten Menschen kohlschwarz herausragen. Schwarz - Schwarz ist die Farbe der Macht, geht es mir durch den Kopf, die Farbe der Gewalt und des Todes. Schwarz bedeutet die Abwesenheit aller Farben. Alles endet in Schwarz. Verfaultes Fleisch, vermoderte Pflanzen, tote Zähne É Doch sie dient mir auch, um Farbwirkungen zu erhöhen. Daher ist sie mit keiner anderen Farbe vergleichbar É
Es ist noch heller Nachmittag. Ein ungewöhnlicher Zeitpunkt für den Scheiterhaufen. Vielleicht war es heute schon der zweite oder gar der dritte É Als ich vorüberziehe, rutscht mir ein »Adiós!« heraus.
Mein großer Förderer, der allmächtige Conde Duque Olivares, war wie ich gegen die immer wieder in Szene gesetzten Auto-da-fés. Ich bin mir sicher, dass seine vehemente Ablehnung der Menschenverbrennungen und sein Versuch, das Heilige Amt der Inquisition aufzulösen, seinen Sturz mitverschuldet haben. Es darf nur nicht laut gesagt werden É
»Eine so unbarmherzige Strafe - das haben unsere Heiligen nicht gewollt«, empört sich nun auch Esquivel, als wir vom Platz abbiegen.
»Auch wenn es ein Gotteslästerer war, der mit dem Satan im Bunde war?«, fragt Valdes.
»Ich frage mich nur, ob das immer stimmt, was so ein armer Kerl unter der Folter gesteht«, wirft Sanchez ein.
»Unser König sollte gegen solche Grausamkeiten vorgehen«, meint Esquivel.
Ich zwinge mich zu einem Lächeln und antworte ihm: »Wozu sich den Kopf zerbrechen über das, was auch unser christlicher König nicht ändern kann.«
»Man sollte die Denunzianten É«
»He! He!«, unterbreche ich ihn. »Du trittst in ein Nest von Skorpionen! Du solltest doch wissen, dass im Königreich die Heiligenerscheinungen und sogar die heiligen Jungfrauen einander bis aufs Messer bekämpfen. Wenn hier die Gläubigen barhäuptig gehen, stülpen Gläubige im nächsten Dorf die Mützen umso tiefer über ihre Ohren. Die Heilige Inquisition muss den wahren Glauben gegen die teuflischen Verführer retten.«
»Vielleicht brauchen die Menschen eines Tages nicht mehr das Königreich mit all seinen Abteilungen und Verordnungen, sodass wir wieder atmen können.«
»Das will ich nicht gehört haben!«, weise ich Esquivel zurecht. Er senkt seinen Kopf und schweigt. Im Grunde genommen verstehe ich ihn. Er wird wie ich stets dem Gebot der Wahrheit folgen, das tief verborgen in seiner Seele liegt.
Wir halten uns wieder etwas nördlich und gelangen auf der La Maestra zum Palast des ehemaligen Gouverneurs, des Condestable Lucas de Iranzo, aus dem letzten Jahrhundert. Damit haben wir endlich unser erstes wichtiges Ziel auf dem Weg nach Malaga erreicht - wenn auch gut zehn Tage später als geplant.
Am Tor stehen vier Wachposten und warten darauf, dass wir unsere Pferde an den eisernen Halteringen, die in der Mauer eingelassen sind, festmachen. Wir lassen uns Zeit. Zwei Wachposten verschwinden in das Innere. Offensichtlich werden sie den Commandante ins Bild setzen, wer da naht und wie er zu empfangen sei. Ich blicke mich um und suche nach Zeichen der Eskorte des Herzogs, die hier auf unser Eintreffen warten soll. Vielleicht, so hoffe ich insgeheim, ist ja der Tross samt Mannschaft in den rückwärtigen Gebäuden untergebracht. Bedächtig zupfe ich mein Gewand zurecht, während unser Gespann auf den Vorplatz rumpelt. Ich erwarte weder eine festliche Begrüßung noch Hornbläser, Trommler und Paukenschläger, doch die geisterhafte Ruhe vor dem Portal macht mich reizbar.
Endlich! Mit atemberaubender Langsamkeit kommt einer der Wachposten auf Valdes zugeschritten. Plötzlich bleibt er stehen und weicht sofort wieder einige Schritte zurück. Herausfordernd rümpft er seine Nase und bekreuzigt sich gleichzeitig. Sein Reflex amüsiert mich. Jetzt sind es schon die Ausdünstungen von Valdes, die eine Bekreuzigung lohnen. Wir sind wohl das gläubigste Volk auf Erden. Schon beim geringsten Anlass schlagen die Menschen das Kreuz. Sogar die Moros tun das. Doch bei vielen ist der fromme Glaubenseifer bloß eine Hülle, unter der sich der fanatische Glaube der ewig alten Muselmanen verbirgt.
»Wer seid Ihr?«, fragt er widerwillig. Valdes antwortet nicht, sondern zeigt stattdessen auf mich. Der Wachposten rührt sich nicht von der Stelle, sondern blickt abweisend zu mir.
»Meldet dem Gouverneur die Ankunft von Diego Rodríguez de Silva y Velázquez, der im Auftrag des Königs reist!«, sage ich in scharfem Ton. Er gehorcht. Ich ziehe die Dokumentenmappe aus der ledernen Satteltasche.
Kurz darauf erscheint ein Mann, der sich als Bote des Gouverneurs zu erkennen gibt. Seine Stimme dringt schneidend an mein Ohr.
»Señor Velázquez? Commandante Jiménez de Zamora erwartet Euch. Folgt mir!«
Ich trete durch das Portal. Mein Auge erfasst eine gekachelte maurische Wandverkleidung in all ihrer Verschlungenheit und Verworrenheit. In der Mitte des langen Ganges, der das ganze Gebäude von Ost nach West durchzieht, bittet mich der Bote, vor einem Raum zu warten, dessen Tür ebenfalls in gemusterte Fliesen gefasst ist.
Der Palast scheint verlassen. »Hier ist niemand mehr!«, sage ich leise vor mich hin. (wird fortgesetzt)

Artikel vom 28.02.2005