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Leitartikel
Kanzler zur NATO

Zum falschen
Zeitpunkt - am
falschen Ort


Von Dirk Schröder
Das Jahr 2005 hatte für die in den letzten Jahren erheblich belasteten deutsch-amerikanischen Beziehungen so gut angefangen. Auf beiden Seiten des Atlantiks ist das Bemühen erkennbar, die Spannungen infolge des Iraks-Kriegs zu überwinden. Die atmosphärischen Störungen sind einem Streben nach Harmonie gewichen. Gemeinsame Grundwerte und Interessen haben die USA wieder näher an Europa, näher an Deutschland heranrücken lassen.
Und die Charme-Offensive der neuen amerikanischen Außenministerin Condoleezza Rice Anfang Februar quer durch einige europäische Hauptstädte hat den untrüglichen Beweis dafür gebracht, dass auch der amerikanische Präsident George W. Bush wieder mehr für das transatlantische Verhältnis tun will.
Beste Vorausetzungen also für den NATO-Gipfel in der kommenden Woche und das Treffen des US-Präsidenten mit Bundeskanzler Gerhard Schröder in der rheinland-pfälzischen Metropole Mainz. Dem europäischen Bündnis soll neuer Schwung verliehen werden. Und Bush und Schröder wollen demonstrieren, dass sie sich doch etwas »mögen«.
Seit dem Wochenende ist dieses Drehbuch nun wieder in Frage gestellt. Denn der Bundeskanzler hat mit seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz, die er aus Krankheitsgründen von seinem Verteidigungsminister Peter Struck vortragen ließ, in Washington, aber auch bei anderen NATO-Partnern, für Irritationen gesorgt, um es noch freundlich auszudrücken.
Es ist möglich, dass dieser Alleingang Schröders in der Allianz keinen größeren Streit auslösen wird. Doch das Kopfschütteln in der bayerischen Hauptstadt war zu Recht groß. Es war mehr als eine unglückliche Rede, wenn schon Struck und Außenminister Joschka Fischer klarstellen müssen, der Kanzler wolle die NATO effektiver gestalten, sie jedoch nicht sterben lassen.
Es war eine Rede zum falschen Zeitpunkt, am falschen Ort, auch wenn die Münchner Konferenz dafür bekannt ist, dass dort Klartext gesprochen wird. Es ist nichts dagegen zu sagen, dass das Gewicht Europas im atlantischen Bündnis gegenüber den USA gestärkt werden soll. Darüber muss gesprochen werden, und der NATO-Gipfel wäre dafür das richtige Forum.
Nicht für den Kanzler. Er hat stattdessen den Eindruck aufkommen lassen, als ginge er auf innere Distanz zu dem Bündnis, von dem nicht zuletzt Deutschland in besonderem Maße profitiert hat. Das schafft kein Vertrauen bei den Partnern. Schon gar nicht in den USA.
Der Kanzler muss eine Frage beantworten: Warum geht er das Risiko ein, dass die so mühsam zugeschütteten Gräben wieder aufgerissen werden? Es soll niemand sagen, Schröder wäre sich über die Folgen nicht bewusst gewesen, die seine Ausführungen ausgelöst haben. Dieser Seitenhieb in Richtung Washington war genau kalkuliert. Das gibt zu denken so kurz vor dem Besuch von Bush in Deutschland.

Artikel vom 16.02.2005