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Favoriten schälen sich heraus

Wettbewerb bei den Internationalen Filmfestspielen wird spannender

Von Klaus Gosmann
Berlin (WB). Der Countdown läuft: nicht nur auf der Berlinale bis zur Verleihung des Goldenen Bären am Wochenende, sondern auch für die beiden Protagonisten des Wettbewerbsbeitrages »Paradise Now«.
Ali Suliman (li.) und Kais Nashef in dem Wettbewerbsfilm »Paradise Now« von Hany Abu-Hassad.Foto: AP

Deren Leben soll in der niederländisch-deutsch-französischen Koproduktion noch etwas mehr als einen Tag dauern, bis sie sich beide als palästinensische Selbstmordattentäter in die Luft sprengen und dabei möglichst viele Israelis mit in den Tod reißen sollen. Der erste Versuch scheitert bereits daran, die Grenze zu überqueren, außerdem kommen bei Said (Kais Nashef) Zweifel am Sinn der Aktion auf. Der Zuschauer lernt etwas, es könnte mehr sein, über die unterschiedlichen Motivationen der beiden von Jalal, einem kühl im Hintergrund agierenden Strippenzieher des Terror-Einsatzes der »Auserwählten«.
Der Kinogänger wird Zeuge davon, dass die Bekennervideos derartiger Suizid-Kandidaten wegen technischer Pannen oft erst im zweiten Anlauf zustande kommen. Während dann vor laufender Kamera bekannt wird, warum man sich ins erhofft paradiesische Jenseits sprengen will, genehmigen sich die Funktionäre, die derartige Himmelfahrtskommandos planen, einen kleinen Imbiss: Das darf ausdrücklich als ironischer Kommentar gewertet werden. Der palästinensische Regisseur Hany Abu Assad versucht diesem ernsthaften Thema als Spielfilm gerecht zu werden, indem er ohne allzu pseudodokumentarischen Blick und mit einem ausgeprägten Gespür für die wahrscheinlich realistische Beschreibung der Menschen, die so etwas tun, arbeitet. Interessant: Israel kommt im Film eher als abstraktes Feindbild in den Köpfen der Palästinenser vor, denn als realer Staat mit Menschen mit ihren jeweils eigenen Geschichten vor. Anhand von Saids Freundin Suha, die für diplomatische Friedenslösungen plädiert, werden auch andere Strategien erörtert, den Dauerkonflikt zu entschärfen. Es verbleibt der Eindruck, dass Suha stellvertretend die Meinung des Regisseurs widergibt, wenngleich sich der Film jeglicher expliziten moralischen Stellungnahme entzieht. Interessantes Thema, gute Schauspieler, keine offenkundige Parteilichkeit erkennbar: bisher einer der größten Kritikerfavoriten.
Ratlos und staunend zugleich lässt einen Robert Guédiguians Film »Le promeneur du Champ de Mars« (ebenfalls im Wettbewerb) über das letzte Jahr im Leben des früheren französischen Staatspräsidenten Francois Mitterrand zurück, der 1996 nach langem Krebsleiden verstarb. Ratlos, weil der Regisseur den 1981 ins höchste Staatsamt gekommenen Politiker offensichtlich stark bewundert und ihm deswegen posthum seinen Frieden lassen will. In dem von den Dialogen zwischen Mitterrand und einem als Biographen verpflichteten jungen Journalisten dominierten Film, oblässt es der Filmemacher Mitterrands Ghostwriter dem alternden Staatsmann Fragen wegen dessen Beziehung zum Vichy-Regime zu stellen. Staunend, weil es Präsidenten-Darsteller Michel Bouquet derart fesselnd gelingt, den zwischen Charmeur, eitlem Despoten, intellektuellem Romantiker und altersweisem Sarkasten wechselnden Mitterrand zu spielen, dass es dem Zuschauer fast egal ist, ob er damit tatsächlich dem historischen Vorbild gerecht wird. Über all den Unterhaltungen schwebt eine Vorahnung des nahenden Todes, schließlich wusste der monarchisch auftretende Sozialist bereits seit mehreren Jahren, dass er Krebs hatte. Wenn es dem Regisseur darum gegangen sein sollte, einen Machtmenschen zu zeigen, der mit seinen letzten Kräften versucht, die Geschichtsschreibung über seine Person zu beeinflussen, war er mehr als erfolgreich; einen souverän auf die Vergangenheit zurückblickenden Politiker hat er nicht portraitiert.

Artikel vom 16.02.2005