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Schleusermafia in Bielefeld

Schein-Reisebüros sollen bei Visa-Erschleichung geholfen haben

Von Christian Althoff
Bielefeld (WB). Von Bielefeld aus sollen sechs Schein-Reisebüros Osteuropäern bei der Erschleichung von Einreisevisa geholfen haben. Das hat nach Angaben aus Sicherheitskreisen die Ermittlungsgruppe »Wostok« des Bundeskriminalamtes ermittelt.

Die Beamten hatten sich bereits 2003 mit der zunehmenden Zahl illegal hier lebender Osteuropäer befasst, doch erst jetzt sind Einzelheiten aus dem Abschlussbericht durchgesickert. Danach soll es bundesweit 358 Reisebüros gegeben haben, die zumeist von Russlanddeutschen betrieben wurden und gefälschte Reiseunterlagen ausgestellt haben sollen. Wilfried Albishausen, Landesvorsitzender des »Bundes deutscher Kriminalbeamter«: »Diese Firmen bestätigen Ausländern die Buchung einer Reise mit Hin- und Rückflug, obwohl gar keine Buchung vorliegt.« Mit dieser Bestätigung und einer privaten Reisekranken- und Rückflugversicherung (dem »Reiseschutzpass«) konnten Ausländer von den deutschen Botschaften Touristenvisa erlangen. Albishausen: »Viele sind untergetaucht, wenn sie erst einmal hier waren, und haben als Schwarzarbeiter oder Prostituierte gearbeitet.«
Aus dem »Wostok«-Bericht soll sich ergeben, dass Nordrhein-Westfalen nach Berlin Hauptsitz der Schein-Reisebüros gewesen ist: Während in der Bundeshauptstadt 90 dieser Tarnfirmen entdeckt wurden, stießen die Ermittler auf 19 in Köln, 13 in Düsseldorf, sechs in Bielefeld und fünf in Krefeld. Daneben soll es noch Häufungen in Osnabrück und Stuttgart (je fünf Scheinreisebüros) gegeben haben.
Die Frage, welche Maßnahmen gegen die Betreiber ergriffen worden sind, wollte ein Sprecher des Bundeskriminalamtes gestern nicht beantworten: »Solange der Visa-Untersuchungsausschuss des Bundestages arbeitet, äußern wird uns nicht.« Auch ist noch nicht bekannt, wie vielen Menschen die Schein-Reisebüros bei der Erschleichung von Visa geholfen haben sollen. Dem BKA sollen allein 4000 entsprechende Fälle von Ukrainern bekannt sein. Horst Engel, innenpolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, erinnerte gestern daran, dass sogar Terroristen, die an dem Anschlag auf das Moskauer Musiktheater beteiligt waren, mit Visa nach Deutschland kommen konnten.
Nach Erkenntnissen der NRW-CDU sollen Ausländer- und Polizeibehörden seit Jahren Hinweise auf eine zunehmende Zahl illegal eingewanderter Menschen gehabt haben. »Deshalb wollen wir wissen, was das Land unternommen hat, um diesem Problem auf den Grund zu gehen«, sagte gestern Fraktionssprecher Norbert Neß.
Außenminister Joschka Fischer, der im Jahr 2000 die Visa-Praxis gelockert hatte (»Im Zweifel für die Einreise«) und damit ungewollt die Grundlage für die Schein-Reisebüros geschaffen haben soll, will sich erst im Untersuchungsausschuss zu der Affäre äußern. Wann das sein wird, steht noch nicht fest.

Artikel vom 16.02.2005