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Nichtzahler vorerst noch verschont

337 000 verweigern 10 Euro Praxisgebühr - Musterprozess am 17. März

Von Reinhard Brockmann
Bielefeld (WB). Wer die Praxisgebühr nicht zahlt, hat nach Recherchen dieser Zeitung vorerst nichts zu befürchten - so wie 337 000 andere Versicherte, die schon zweimal gemahnt wurden. Karin Hamacher von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein: »Auch der letzte zahlunsgwillige Patient dürfte bald die Gebühr verweigern, wenn er weiß, dass dies ohne Konsequenzen bleibt.«

Wie berichtet, werden im Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Westfalen-Lippe zwar Mahnungen verschickt, auf weitere juristische Mittel wird jedoch verzichtet. Inzwischen lägen in Dortmund 9300 Fälle vor, in denen Patienten auf die Zahlungsaufforderung nicht reagiert haben, sagte KV-Sprecher Andreas Daniel dem WESTFALEN-BLATT.
»Ob wir vor Gericht siegen oder nicht, wir müssen den zehn Euro Praxisgebühr 150 Euro hinterherwerfen«, schilderte Daniel die »seltsame, fast absurde« Lage aus Sicht der KV. Hintergrund ist Paragraph 184 im Sozialgerichtsgesetz. Wann immer die KV gegen Privatperson klagt, muss sie 150 Euro zahlen - selbst wenn das Verfahren zu ihren Gunsten ausfällt.
Bundesweit müssten aus den Mitgliedsbeiträgen der Ärzte 50 Millionen Euro Prozesskosten aufgebracht werden, um Praxisgebühren in Höhe von 3,37 Millionen einzuklagen.
Im Bereich der KV Rheinland läuft ein Musterverfahren, um eine Ende März 2004 verweigerte Praxisgebühr von zehn Euro. Bis zu dessen Ausgang ruhen dort alle 20 021 Mahnfälle. Die Chancen am 17. März stehen laut »Ärzte-Zeitung« für das Gesundheitssystem schlecht. Dem Beklagten, Jürgen M. aus Düsseldorf, drohen maximal 37,20 Euro Kosten. Die KV Rheinland bringt dagegen jetzt schon 500 000 Euro für eine zwölfköpfige Abteilung zur Bearbeitung der Mahnungen auf.
Offiziell hat jetzt erstmals die KV Berlin erklärt, dass sie grundsätzlich keine weiteren Mahnverfahren mehr betreiben wolle. Der Frage, welche Auswirkungen das auf die Zahlungsmoral von Patienten haben könnte, wich Gesundheitsstaatssekrtär Franz Thönnes am 26. Januar im Bundestag aus. Er verwies auf die Berliner Senatsverwaltung, die dort für die Einhaltung des Bundesmantelsvertrages zuständig sei.
Bundesweit liegen aktuell 337 000 Mahnverfahren vor und - offenbar - alle auf Eis. Roland Stahl betonte für die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), darunter seien allerdings »bei weitem nicht nur notorische Nichtzahler«. Vielmehr zähle die große Gruppe von Ambulanz-Patienten dazu, von der die Krankenhäuser erst gar keine Praxisgebühr verlangt hatten.
Stahl nannte den gesamten Komplex »einen Schildbürgerstreich«. Nun sei die Hilfe des Gesundheitsministeriums gefordert. Dessen Sprecher, Klaus Vater, wies das Ansinnen allerdings umgehend zurück. Das kritisierte Inkassoverfahren hätten Kassen und Kassenärzte gemeinsam verabredet. »Bei uns gibt es keine Bestrebungen, das zu ändern.«
Nach den Worten von Vater ist die Praxisgebühr laut Gesetz Bestandteil des kassenärztlichen Honorars. Deshalb sei es nur konsequent, dass die KVen auch für das Inkasso bei säumigen Zahlern zuständig seien. Vater sagte nicht, dass der Bundesmantelvertrag durch die KVen inzwischen gekündigt worden ist. Kommentar

Artikel vom 16.02.2005