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Schleuserbanden begünstigt,
Wohltäter dagegen behindert

»Brückenschlag Ukraine e.V.« übt massive Kritik an deutscher Botschaft

Von Reinhard Brockmann
Berlin
(WB/AP). Höchst verschlungen sind die Wege, die zu dem massenhaften Missbrauch deutscher Einreisevisa für Menschen aus Osteuropa geführt haben. Zugleich melden Hilfsorganisationen ungewöhnliche Behinderungen bei ausweislich ideellen Reisezwecken.

Während in der Summe bis zu eine Million Visa ungeprüft vergeben wurden, berichtet Karl-Hermann Krog Gegenteiliges. In den vergangenen vier Jahren seien die Visa-Angelegenheiten des Vereins »Brückenschlag Ukraine« mit Sitz in Bad Salzuflen erschwert und zuletzt unerträglich geworden.
In einem Brief an den Bundeskanzler vom 16. März 2004 beklagt der Vereinsvorsitzende: »Seit geraumer Zeit behindern unhaltbare, wenn nicht skandalöse Zustände bei der Visaerteilung seitens der deutschen Botschaft in Kiew unsere Arbeit.« Das geforderte persönliche Erscheinen in Kiew bedeute für Westukrainer eine 800 Kilometer weite Reise. Krog: »Wir haben leider zahllose Beispiele dafür, dass von uns eingeladene Personen drei bis vier Mal nach Kiew reisen mussten, ehe sie ihr Visum ausgehändigt bekamen.« Man habe Verständnis für die schwierige Situation, der sich die Konsularabteilung angesichts vieler missbräuchlicher Anträge gegenübersehe, schreibt Krog weiter. »Wir beklagen jedoch, dass offenbar die Vertrauenswürdigkeit - wir laden seit 12 Jahren ukrainische Partner ein, ohne dass es je zu Missbräuchen gekommen wäre - nicht ausreichend gewürdigt wird.«
Die Antwort, durch einen Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, fiel so prompt wie nichts sagend aus: Eine Außenstelle der Botschaft in Lemberg sei leider zu teuer.
Inzwischen droht Krog mit der vollständigen Einstellung der Beziehungen. Weil sich die Lage seit dem Brief an Schröder noch mehr zugespitzt habe, hat er den Deutschen Botschafter in Kiew noch einmal um Unterstützung in zwei konkreten Fällen gebeten. Krog schließt nicht mehr aus, den Bundestagsuntersuchungsausschuss einzuschalten. Nach seiner Auffassung müsse nicht nur der Missbrauch, sondern auch die bewusste Behinderung ideeller Beziehungen untersucht werden.
Zum Hintergrund: Seit Anfang der 90er Jahre galt für die Einreise aus visapflichtigen Staaten in die Schengen-Länder das »Reisebüroverfahren«. Wer bei einem vertrauenswürdigen Reisebüro eine touristische Reise nach Deutschland buchte, musste nicht persönlich bei der deutschen Botschaft in seinem Herkunftsland vorsprechen. Daneben wurde 1995 für einige ehemalige Ostblockstaaten das »Reiseschutzpassverfahren« eingeführt, das 1997 auf die Ukraine ausgedehnt wurde. Dabei wurde gegen Hinterlegung einer Kaution eine Art Schutzbrief ausgestellt, dessen Erwerb unter anderem die Übernahme von Rückführungs- (Abschiebungs-) und Krankenbehandlungskosten sicherte. »Reiseschutzpässe«, »Carnets de Touriste« und andere Versicherungen wurden als Voraussetzung für Visa-Erteilungen anerkannt, aber der Reisewillige musste persönlich erscheinen. Beide Verfahren wurden massenhaft missbraucht.
Darüber hinaus zeichnete Bundesaußenminister Joschka Fischer am 3. März 2000 den »Volmer-Erlass« ab. Damit wurden Konsularbeamte angewiesen, bei der Erteilung von Einreise-Sichtvermerken nach der Vorgabe »im Zweifel für die Reisefreiheit« zu entscheiden. Innenminister Otto Schily protestierte damals sofort dagegen.
Nun galt: »In dubio pro libertate«, was viele als Freibrief für die Einreise ohne jegliche Kontrolle werteten und nutzten. In der Folge stieg die Zahl der Visa-Anträge allein in der Ukraine von 1999 noch 152 436 auf 2000 genau 217 287 und 2001 schon 329 258. Im August 2000 wies die Polizei darauf hin, dass das Reiseschutzpassverfahren zur Erlangung von Touristenvisen genutzt, dann aber illegale Arbeit in Deutschland aufgenommen wurde.
Im September 2001 legte das Bundeskriminalamt einen Bericht zur Schleuserkriminalität vor. Die Sondereinheit »Wostok« ermittelte, dass volkswirtschaftlicher und außenpolitischer Schaden für Deutschland durch die Praxis der Einreiseerleichterungen drohe, und sprach von »moderner Form der Sklaverei«, die damit begünstigt werde.
Im Februar 2004 verurteilte das Kölner Landgericht einen Mann wegen bandenmäßiger Menschenschleusung im ganz großen Stil drei Jahre unter der Höchststrafe. Das Gericht begründet dies, dem Unternehmer sei durch Fehlverhalten im Auswärtigen Amt seine Tat erheblich erleichtert worden.

Artikel vom 15.02.2005