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Ein Panzer soll eine
ganze Armee aufhalten

Ostern 1945: Militäroperationen im Raum Bielefeld

Bielefeld (WB). In nicht einmal vier Wochen war alles vorbei: Am 9. März 1945 überquerten die Alliierten bei Remagen den Rhein, und am 4. April bereits standen die Amerikaner auf dem Jahnplatz. Wir beginnen die WESTFALEN-BLATT-Serie über das Kriegsende vor 60 Jahren mit einem Überblick über die Kämpfe.

Begebenheiten aus den letzten Kriegstagen hat zuerst der elsässische Offizier Friedrich Karl Kühlwein gesammelt - 1947, im Auftrag des Historischen Vereins der Grafschaft Ravensberg. Auf Kühlwein beruft sich der Bielefelder Historiker Hans-Jörg Kühne, der nach seinem Erfolgsbuch über den 30. September 1944 eine lesenswerte Darstellung des Kriegsendes vorgelegt hat: »Zwischen Krieg und Frieden. Bielefeld 1945« (Wartberg-Verlag, zehn Euro).
Zur Verteidigung des 110 Kilometer langen Teutoburger Waldes hätte es einer Streitmacht von mindestens 100 000 Mann bedurft. Doch am etwa 70 Kilometer langen Frontabschnitt, in dessen Mitte Bielefeld lag, standen nur 7000 Soldaten, rund um die Teuto-Metropole (Befehlshaber: Oberst Günter Sommer) waren es 3500 - miserabel ausgebildet, mangelhaft bewaffnet, zum Teil gar nicht wehrtauglich. Sie gruppierten sich zum einen von Steinhagen über Jöllenbeck zur Reichsautobahn (heute A2), zum anderen entlang der Linie Einschlingen - Südrand Brackwede - Buschkamp - Höhenzug bei Lämershagen.
Man muss die Punkte nicht erst auf einer Karte einzeichnen, um das realitätsferne Konzept dieser Truppenaufstellung zu erkennen: Die »Festung Bielefeld« sollte von Wehrmachts- und Volkssturmverbänden verteidigt werden, als ob man von den Wällen einer mittelalterlichen Burg herunter schießen würde. Nur dass der Gegner nicht mit Rammböcken anrückte, sondern mit Panzern.
Von denen hatte die US-Armee Hunderte, und die Bielefelder hatten einen.
Die Amerikaner rückten am 31. März (Ostersamstag) von Westen und von Süden an, und am 3. April bereits hatten ihre Verbände Bielefeld links und rechts überflügelt. Gegen 18 Uhr am 4. April nahm ein US-Offizier auf dem Jahnplatz die Parade ab, und noch tagelang brausten motorisierte Einheiten durch die Innenstadt Richtung Nordosten zur Weser.
Ein leichter Sieg. Als am 31. März um 20 Uhr die Sirenen das Signal »Feindalarm« heulten, da hatte man am Güterbahnhof Brackwede noch einmal die Granaten für das 10,5-cm-Geschütz gezählt: Es waren genau zwei.
Chronist Kühlwein listet 65 Tote (auf deutscher Seite) auf. Die Verluste der Amerikaner lassen sich nicht beziffern; sie wurden sofort nach hinten abtransportiert. Noch Jahrzehnte nach Kriegsende mokierten sich ältere Bielefelder über den extrem vorsichtigen Vormarsch der GIs, aber die gegnerischen Soldaten wussten natürlich längst, dass sie den Krieg gewonnen hatten. Warum sollten sie noch Kopf und Kragen riskieren?
»Richtig geknallt« hat es in Jöllenbeck, außerdem in den Waldstellungen um Lämershagen. Am späten Nachmittag (die Zeitangaben schwanken zwischen 16 und 18.30 Uhr) regte sich kein Widerstand mehr. Offenbar geleitet von Ortskundigen, rasten dann ungefähr 60 Panzer und andere Fahrzeuge mit aufgesessener Infanterie in die Innenstadt, ein Teil zum Rathaus, ein Teil zum - verlassenen - Sedanbunker, dem Hauptquartier von Partei und Militär an der Holländischen Straße.
Vom Rathaus wehte da bereits die weiße Flagge. Bis heute konnte nicht geklärt werden, wer sie aus dem Fenster gehängt hat. Manche vermuten, es sei Oberbürgermeister Fritz Budde selbst gewesen, ein ehemaliger Nationalsozialist, den der Kriegsverlauf eines Besseren belehrt hatte.
Für das schwer getroffene Bielefeld war der Krieg vorbei. Weitsichtige ahnten bereits: Die Zeit der Entbehrungen würde noch eine Weile dauern. Sie sollten Recht behalten.
Lesen Sie am Dienstag: Der Volkssturm in den Kämpfen um Bielefeld und Umgebung.

Artikel vom 19.03.2005