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Lichtblicke in einer düsteren Zeit

Kulturgespräch über den Neuanfang nach 1945 mit Hermann Glaser

Von Hartmut Horstmann
Minden (WB). Mehr als ein Vierteljahrhundert hat Hermann Glaser als Kulturdezernent in Nürnberg gearbeitet. In zahlreichen Schriften hat er sich mit deutscher Kultur und Kulturpolitik beschäftigt. Am Samstag, 19. Februar, beteiligt er sich an einer Diskussion zum Thema »Neuanfang nach 1945« im Mindener Stadttheater.

Das Kulturgespräch bildet den Abschluss einer Filmreihe, für die unter anderem die Volkshochschule verantwortlich zeichnet. 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wird hier die so genannte »Stunde Null« beleuchtet. Ein Thema, mit dem sich der 76-jährige Hermann Glaser auch in seiner jüngsten Publikation »Kleine deutsche Kulturgeschichte von 1945 bis heute« befasst hat. So trägt das erste Kapitel den Titel »Die Geschichte vom kulturellen Neubeginn«.
Doch wie konnte ein Neubeginn aussehen? Theodor W. Adorno war skeptisch ob der Vorstellung, dass die Kultur nach dem Krieg wieder aufgebaut werden könne. »Es schien, dass nun ein tiefschwarzer Vorhang das kulturrelle Weltbild verhüllte, das doch davon kündete, dass der Mensch edel, hilfreich und gut sei«, schreibt Hermann Glaser. Auf den Punkt gebracht wurde diese »tiefe Verzweiflung« in dem Kriegsheimkehrer-Stück »Draußen vor der Tür« von Wolfgang Borchert.
Doch das Lesepublikum hatte andere Wünsche als die Auseinandersetzung mit dem Elend. Das Reich der Phantasie sollte über die Wirklichkeit hinausweisen, sie vergessen machen. In der hässlichen, düsteren Welt der Trümmerzeit seien die »schönen Künste« ein Lichtblick gewesen, so der Autor. Schriftsteller wie Hermann Hesse, die für die Suche nach zeitlosen Werten stehen, waren angesagt. Glaser: »Die Tugenden der Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit und Treue sollten nun einhergehen mit einer tiefen Verehrung des Geistigen.«
Auch auf dem Theater und in der Musik zeigte sich diese Tendenz. Dass das vermeintlich Wahrhaftige zu einem unauflösbaren Konflikt mit der Realität führte, erkannten die Schriftsteller, die sich als »Gruppe 47« trafen und Literaturgeschichte schrieben. Als Gemeinsamkeit habe sich die Überzeugung von der Notwendigkeit einer neuen Sprache ergeben, fasst Glaser ihr Anliegen zusammen: »Verworfen werden die großen Worte, die nichts besagen und nach Ansicht der Kritsierenden ihren Inhalt verloren haben: Herz, Schmerz, Lust und Leid.«
Im März wird von Hermann Glaser ein neues Buch unter dem Titel »1945 - Beginn einer Zukunft« erscheinen. Eine Vorauslieferung soll bereits am Samstag im Mindener Stadttheater erhältlich sein. Das Kulturgespräch, an dem auch der Mindener Journalist Heinz Wähler teilnimmt, beginnt um 11 Uhr.
Hermann Glaser: Kleine deutsche Kulturgeschichte von 1945 bis heute. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main. 336 Seiten.

Artikel vom 16.02.2005