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VelázquezÕ Rückenakt schien die perfekte Kopie von Livia zu sein. Doch vor dem lebendigen Leib verspürte Duncan mit jeder Minute ein heftigeres Begehren: Die herrlich glatte und frische alabasterschimmernde Kehrseite Livias machte unwiderstehlich neugierig auf ihre VorderseiteÉ
»Warum sagst du nichts?«, fragte Livia nach einer Weile.
»Wenn ich dich so betrachte, wird mir klar, dass Velázquez tatsächlich ein Genie seiner Zeit war.«
Daraufhin ließ er sich auf die Knie nieder, küsste ihren Rücken, fuhr mit den Lippen hinab bis zu ihrer Hüfte und langsam weiter bis zu ihrer Zehenspitze.
»Du bist einfach vollkommen«, hauchte er und fügte schwärmerisch hinzu: »Vielleicht hast du schon einmal gelebt und bist Velázquez begegnet. Du bist das Original. Die ÝRokeby-VenusÜ ist dagegen nur eine leblose Kopie É«
»Oh, ich liebe es, von dir angehimmelt zu werden. Hast du dich an dem Anblick jetzt genügend satt gesehen? Deiner Venus schläft nämlich langsam der Arm ein É«
Als ob sie ihn aus seinem Traum wach gerüttelt hätte, erwiderte er wie aus der Ferne: »Wo ist der Spiegel?«
»Er liegt dort auf dem Stuhl«, sagte Livia. »Nimm ihn bitte, denn lange kann ich es in dieser Position wirklich nicht mehr aushalten.«
Duncan nahm den Spiegel beim Rahmen und gleichzeitig den Stuhl bei der Lehne. Beides platzierte er etwa im selben Abstand wie auf Velázquez Aktgemälde - etwas schräg vor Livias Bauch und Hüfte. Statt Cupido, der auf dem Gemälde den Spiegel hielt, diente nun die Stuhllehne als Stütze. Mit einem dazwischen gestopften weichen Badetuch ließ sich die Winkelung zur liegenden Livia gut justieren. Nach einigen Versuchen war Duncan mit der Stellung des Spiegels zufrieden. Langsam trat er hinter Livias Rücken und nahm wieder die Position des Betrachters ein.
»Hab ich mir's doch gedacht!«
»Was siehst du?«
»Wir müssten es sofort festhalten. Am besten fotografieren!«
»Ich will wissen, was du siehst!«
»Deine Taille und - deinen Schoß! Außerdem leuchtet mir eine wunderschön geformte Brust mit roter Knospe entgegen. Es ist deine linke!«
»Nichts von meinem Gesicht?«
»Die Identität bleibt für den Nichtwissenden verborgen. Ich würde dich natürlich jetzt an deiner wohlgeformten Brust sofort erkennen!«
»Natürlich! Velázquez hat also tatsächlich vornehm darauf verzichtet, mehr von ihr preiszugeben?«
»Zumindest auf dem Bild, wie wir es kennen É«
Livia löste sich aus der Positur, hob und senkte mehrmals die rechte Schulter, um sie zu lockern und rollte sich auf Duncans Seite. »Wie meinst du das?«
»Mit so einem Modell wie dir hätte ich als Maler so viele Bilder aus so vielen Perspektiven wie möglich angefertigt. Und Velázquez war auch nur ein Mann. Immerhin befand sich eine grandiose Schönheit in seinem Atelier. Vielleicht war sie in der Geschichte der Malerei die erste souveräne Frau, die nicht als Modell für irgendeine künstliche Götterszene auf Bestellung kam, sondern die ihre eigene Vollkommenheit von jemand festhalten lassen wollte, der es so unvergleichlich konnteÉ«
»Glaubst du, sie war seine Geliebte?«
»Das müsstest du als Frau eher beantworten können. Was könnte eine Frau dazu bringen, so keusch und doch so hoch erotisch vor einem Maler zu liegen? Und das mitten im 17. Jahrhundert?«
»Jedenfalls hat sie erstmals die Kraft aufgebracht, den massiven moralischen Vorbehalten und den allgegenwärtigen kirchlichen Vorschriften standzuhalten. Ganz zu schweigen von ihrer Souveränität gegenüber der männlichen Unterwerfungsgier, die hinter dem Auftrag zu einem solchen Gemälde auszumachen ist.«
»Wie meinst du das?«
»Die Erfüllung des angestachelten Verlangens! Die Konservierung der Lust und des Besitzgefühls eines hemmungslosen Mannes. Die andauernde Präsentation als Trophäe in dessen Schlafgemach!«
Duncan runzelte die Stirn. »Und die Folge?«
»Wenn diese Geschichte so stimmt, dann hat ihr der Gedanke, den Liebhaber so an sich binden zu können, nichts genützt. Der spanische Grande zumindest, in dessen Besitz das Bild aufgetaucht ist, war berüchtigt als haltloser Wüstling. Für Prostituierte soll er ein Vermögen ausgegeben haben und am Ende an der Syphilis elend zugrunde gegangen sein.«
»Oh, du hast dich ja ganz schön tief in die Geschichte hineingewühlt«, sagte Duncan mit Respekt.
»Ihm jedenfalls dürfte es ziemlich egal gewesen sein, ob ein Maler ein lüsternes Auge auf seine Geliebte warf. Oder es stachelte ihn sogar noch an.«
»In Madrid? An einem klatschsüchtigen Hof? Unter aller Augen? Auch unter denen der Inquisition? Schwer vorstellbar.«
»Heimlichkeiten gab es überall. Auch in Madrid«, entgegnete Livia.
»Nur war Velázquez dort viel zu ehrgeizig auf seine gesellschaftliche Anerkennung aus und täglich mit seiner anstrengenden Karriere bei Hof beschäftigt. Er malte nur wenige Bilder pro Jahr. Meist Porträts der königlichen Familie und der Mitglieder des Hofstaates. Ich bin jetzt fast überzeugt davon, dass dieses Gemälde fernab in Italien entstand und keinesfalls die Geliebte des Auftraggebers in Madrid vorstellt. Wenn Velázquez sie im Auftrag eines anderen zu malen hatte É Nein, das müsste ein entsetzliches Drama für ihn gewesen sein! Dagegen liegt so viel süßer Eros und so viel sanfte Zärtlichkeit in dem Bild.«
»Du meinst, er hat sie geliebt?«
»In einer glücklichen, erwiderten Liebe.«
»Also eine Signora?«
»Eine Signora!«, wiederholte Duncan und fing an, Livias Linien an Hüfte und Bein mit seiner Hand nachzufahren. »Wie du jetzt daliegst, gleichst du ebenso verblüffend unserer Entdeckung von heute Morgen in der Gypsotheca.«
»Du schmeichelst mir É Ihr dürft weitermachen, Diego!«, schnurrte Livia und küsste ihn.
»Ich glaube, er hat so ähnlich vor mehr als dreihundert Jahren bei seinem Modell gesessen, hat genauestens ihre Linien studiert, bevor er sie als Venus malte.«
Livia umschlang Duncans Hals und zog ihn auf die Kissen. »Dann lass uns ein wenig von damals träumen.«
»Wo soll der Traum beginnen?«
»In Madrid, mein Diego!«, hauchte sie ihm zärtlich ins Ohr. »Erzähl mir von deinen Talenten, von deinen Sorgen und deiner Reise nach ItalienÉ«
Duncan legte sich bequem neben Livia, die sich an ihn kuschelte. Er schloss die Augen und begann zu erzählen: »Es war einmal ein spanischer Hofmaler, der viele Titel sammelte, doch den alle Freunde nur Diego nannten. Ich glaube, im Kern war er eine einsame Seele, die eine verwandte Seele suchte É«

(wird fortgesetzt)

Artikel vom 19.02.2005