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Duncan schob seine Hände unter ihren Morgenrock, streichelte ihren Rücken, berührte zärtlich ihre Pobacken und umfasste erneut ihre Taille. »Du bist meine ÝRokeby-VenusÜ.«
Plötzlich sah sie ihn mit strahlenden Augen an. »Ahhh! Ich ahne, worauf du hinauswillst É«
»Was wir noch brauchen, ist eine Abbildung von ihr É«
»Ich fliege!«, erwiderte sie, bevor er seinen Gedanken vollenden konnte, und war schon aus dem Zimmer.
Nebenan hörte er Türen schlagen. Kurz darauf erschien Livia mit einigen Fotos in den Händen. Im Hochglanzformat lag VelázquezÕ Venus ausgebreitet vor ihnen.
»Eine gute Aufnahme. Die Farben leuchten fast so wie auf dem Original des Bildes!«, lobte Duncan und zeigte auf das Kopfende. »Ich habe versucht, mit Kissen und Kopfkeil in etwa die gleiche bequeme Liegeposition zu schaffen wie auf dem Gemälde. Mit dem Spiegel hier werden wir eine kitzlige Frage sofort klären können. Bist du so lieb É?«
»Du meinst, ich soll mich einfach auf dem Bett so platzieren wie unsere Dame auf dem Gemälde?«
Duncan grinste. »Ja, genau so.«
»Oh! Wie unerotisch!«
»Wie das?«
Livia zog unversehens ihren Morgenmantel enger, schlug den Kragen hoch und verhüllte sich dadurch bis zum Hals. »Die Venus war sicher elegant gekleidet, als sie sein Atelier betrat É«
»Anzunehmen. Und weiter?«
»Dann hat sie Velázquez hinausgescheucht und bei abgedunkelten Fenstern alle Hüllen abgelegt. Dabei hat sie sich sicher viel Zeit genommen, um den großen Meister zu foltern«, erwiderte Livia.
»Du meinst, sie kam einfach so in sein Atelier hereinspaziert? Quasi auf Bestellung? Keine sinnlichen Stunden vorher?«
»Wer immer sie war und wo es auch war, erst musste sie einmal an den Ort des Geschehens kommen. Und sie spazierte sicher nicht nackt dort hin.«
»Da ist was dran«, sinnierte Duncan. »Vielleicht durfte sie außerdem nicht gesehen werden? Das heißt, unser Meister hatte auf einiges zu achten.«
»Siehst du! Also, dann wollen auch wir erst einmal auf die Kleinigkeiten achten, bevor wir uns den großen Fragen zuwenden.«
»Soll das heißen É?«
»Natürlich soll es das É«, erwiderte Livia und hob mit gespielt strenger Miene die Hand. »Hinaus É Diego!«
Duncan verneigte sich artig. »Oh, Verzeihung, Signora É Natürlich É Die Dame will sich umkleiden É«
»Signora oder Señora? Italienerin oder Spanierin. Wer war sie eigentlich? Entscheide dich!«
»Nicht schlecht. Ich tippe auf Signora É«
»Nein! Sie war eine Señora! Olé!«, entgegnete Livia.
»Ich erlaube mir nicht, Señora zu widersprechen.«
»Ihr tut gut daran, Don Diego, vuestra merced!«
Daraufhin verneigte sich Duncan wie ein Edelmann aus vergangenen Zeiten und sagte: »Ist es Euer Begehr, Señora, dass ich das Schlafgemach verlasse?«
Livia schnippte gebieterisch mit den Fingern und zeigte auf die kleine Anrichte. »Das Glöckchen! Reicht es mir!«
»Wie Ihr wünscht É«, spielte Duncan mit.
Dann sah sie strafend an ihm herab. »Wie oft habe ich Euch schon ermahnt, Don Diego, in Gegenwart einer Dame nicht nackt herumzulaufen!«
Duncan bedeckte mit der Hand seine Scham. »Es wird nicht wieder vorkommen, Señora É«
»Zieht Euch etwas über, und betretet mein Zimmer erst, wenn Ihr des Glöckchens Klang vernehmt.«
»Des Glöckchens Klang É Sehr wohl, Señora!«, wiederholte Duncan unterwürfig, raffte einige seiner Kleidungsstücke zusammen und verließ rückwärts in gebeugter Haltung das Schlafzimmer. Draußen vor der Tür band er sich schmunzelnd sein Hemd zu einem antiken Lendentuch um. Die Schwüle des Tages stand noch im Treppenhaus und machte ihn durstig. Angestrengt lauschte er. Doch nichts war zu hören.
So ließ sich Duncan auf den obersten Absatz der Treppe nieder, um abzuwarten. Für einen kurzen Moment kam er sich wie ein Ausgestoßener vor. »Das Entscheidende an einem Schlafzimmer ist, dass man drinnen ist! Velázquez hat das sicher souveräner angepackt«, murmelte er vor sich hin. Er musste intensiv darüber nachdenken, ob es tatsächlich so gewesen sein könnte. Hatte Velázquez die nackte Venus fern von zu Hause während seiner zweiten Italienreise gemalt, oder waren die wunderschönen Aktgemälde am Ende doch in Spanien entstanden, wie die meisten Bücher dies hartnäckig behaupteten? Hatte er einen gezielten Auftrag erhalten und war ihm eine bestimmte Dame zugeführt worden, oder konnte er sein Modell selbst auswählen? Wo begegnete er seinem Modell? Kannte er sie? War sie seine Geliebte? Wo konnte er sie stundenlang ungestört nackt betrachten? War es in Rom, Neapel oder in Madrid gewesen?
Nach allen Überlegungen, die er schon in London über die infrage kommenden Orte angestellt hatte, hatte er die Überzeugung gewonnen, dass es eigentlich nur in Italien gewesen sein konnte. Gefühlsmäßig hatte er sich auf Rom festgelegt. Dort hatte der Maler die nötige Werkstatteinrichtung und vermutlich genügend Platz, ohne dass seine eigenen Leute dazwischenkamen. Für Italien sprachen nach seinen Einschätzungen auch die relativ freien Bedingungen für die Künstler - im Gegensatz zu der rigiden offiziellen Moral in Spanien, auf deren Einhaltung die allgegenwärtige Inquisition mit ihren Zuträgern unerbittlich achtete. In der gesamten Epoche der klassischen europäischen Malerei war in Spanien sonst kein einziges Aktbild entstanden. Man konnte nicht erkennen, ob die spanischen Maler in ihrem Leben von Frauen mehr als eine unbedeckte Schulter oder ein Knie zu sehen bekommen hatten. War nicht noch zu Napoleons Zeit die Inquisition aktiv geworden aufgrund des Gerüchts über ein Aktbild von Goya? Nein, in Madrid hätte Velázquez Verhör und Kerker und den Verlust seiner Stellung riskiert!
Aber Italien? Hatte nicht schon Botticelli in Florenz, über hundert Jahre vor Velázquez, mit seiner Geburt der Venus der Welt einen mädchenhaft befangenen, keuschen, fast zerbrechlichen Frauenkörper geschenkt? Ein so hinreißendes und neuartiges Werk, auch wenn der Maler die weibliche Blüte in einen noch knospenhaften, engelgleichen Zustand verschloss. Und Tizian, dessen Göttinnen mit ihren leuchtenden Fleischpartien in abgeschlossenen Zimmern des spanischen Königs nur für die Augen weniger Erwählter zu bestaunen waren? Vielleicht waren es nur geträumte Idealvorstellungen, gefühlvoll aus den Einzelstudien vieler weiblicher Modelle zusammengesetzt. Nicht einmal das hätte Velázquez unter den Augen des Hofes tun dürfen. Es hätte auch gar nicht zu seiner Art gepasst, wie er die Gegenwart einer unverwechselbaren Person vor das Auge stellte. Und mit diesem konkreten Anblick regte er wie nie zuvor die Fantasien der Betrachter an É
Duncan vernahm plötzlich das Zischen eines Streichholzes in Livias Schlafzimmer. Ein liebliches Lied summend, tänzelte Livia offenbar um ihr Bett. Jeden Moment meinte er das Glöcklein bimmeln zu hören. Dann hörte er ein zweites Mal das Entzünden eines Streichholzes.
»Kerzen!«, grummelte er vor sich hin. Eine Ewigkeit schien zu vergehen.
Klingelingeling!
Da! Der zarte Klang in seinen Ohren war wie eine Erlösung. Sein Puls schnellte hoch. Einen kurzen Augenblick zögerte er davor, die Türklinke zu drücken. Es war ihm, als wäre die normale Welt um ihn herum entschwunden und er in einem unwirklichen Zauber gefangen. Wie in einem Luxushotel, bei dem es keine Rolle spielt, wo auf dem Planeten man sich befindet - denn es könnte überall sein. Doch er besann sich: Die Luxussuite, die ihn erwartete, war nicht nur von allerfeinstem Geschmack, sondern ihre Präsentation sollte ihm etwas von Livias Raffinesse und Fantasie preisgeben.
Vorsichtig drückte er die Klinke und zog die Tür einen Spalt weit auf. Der Raum war vor der Nachmittagssonne abgedunkelt. Die schlanken hohen Kerzen brannten ruhig auf beiden vielarmigen, mannshohen, silbern glänzenden Kerzenständern. Dazwischen stand jetzt beherrschend und unentrinnbar, quer mitten im Raum, das großzügige Bett.
Duncan zog behutsam die Tür hinter sich zu. Das, was er vor sich sah, ließ ihn das Atmen vergessen. Dort auf dem aquamarinschimmernden Laken, zusätzlich beleuchtet durch eine Tischlampe, die ein konzentriertes Licht warf, bot sich seinen Blicken VelázquezÕ Ikone und zugleich eine Frau aus Fleisch und Blut. Livia lag nackt und elegant ausgebreitet, den rechten Arm aufgelegt, den Kopf damit abstützend, vor dem abgedunkelten Hintergrund.
Duncan hockte sich vor dem Bett auf den Boden nieder und richtete seinen Blick auf das Bild, das sich ihm darbot. Der Kerzenschein tauchte Livias vollkommene Gestalt in warmes, milchiges Licht.
Ein Festmahl! Eine lebendige Komposition von reifer süßer Frucht und schwereloser Nacktheit. Unwillkürlich leckte er sich die Lippen. In dieser Darstellerin des aufreizenden Hüftschwungs verbarg sich die Meisterin der vollendeten Erfüllung körperlichen Verlangens. Wie Livia die Nacktheit ihrer hellen Haut seinen Blicken preisgab, hatte trotz allen erotischen Reizes eine schamhafte Unschuld. Genauso, wie er den ersten intensiven Eindruck der ÝRokeby-VenusÜ in Erinnerung hatte.
»Bitte bleib so liegen. Rühr dich nicht É«, flüsterte er fast flehend.
Die Faszination des Anblicks hielt ihn gefangen. Am liebsten hätte er sofort alles unternommen, um sie unveränderlich in dieser Position zu bewahren. (wird fortgesetzt)

Artikel vom 18.02.2005