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Leitartikel
Neue Hoffnung für Nahost

Solang' die Waffen schweigen


Von Reinhard Brockmann
Friedensprozess, Friedensvertrag, Friedensgespräche: In keinen Zusammenhang fällt seit Jahrzehnten das Wort vom Frieden häufiger und unzutreffender als in Bezug auf den Nahen Osten. Das allein macht vorsichtig, könnte aber den Blick dafür verstellen, dass es diesmal wirklich ernst ist. Ungewohnt bescheiden ist jetzt vom »Waffenstillstand« die Rede.
Der Begriff ist ehrlicher und hält nur bis zum erstschlechtesten Schuss, der unbedingt verhindert werden muss.
Immerhin, der neue hoffentlich auch in den kommenden Monaten noch starke Mann der Palästinenser, Mahmud Abbas, zeigt im Kampf gegen Terror und Gewalt, die von den USA verlangten »100 Prozent Einsatz«. Er modernisiert, sprich: strafft und diszipliniert die Polizei sowie den Aufbau demokratischer Strukturen.
Abbas hat Scharons Forderung nach einem Ende der Intifada gestern übererfüllt. Damit wäre Israel am Zuge. Für den bis zum Herbst terminierten Abzug von Soldaten und Siedlern aus dem Gaza-Streifen fehlt in der Knesset noch die Mehrheit. Ultraorthodoxe, Siedler und die Mehrheit in Scharons Likud-Fraktion verlangen eine Volksabstimmung über den Abzug. Außerdem gilt in Tel Aviv die Faustformel: Fünf Prozent der Siedler werden bei einer Zwangsräumung Gewalt und Blutvergießen nicht scheuen.
Gleichzeitig wächst in Umfragen die Unterstützung für Scharon. Das löst aber nicht dessen Glaubwürdigkeitsproblem: Scharon wurde mit dem Versprechen gewählt, dass das Nest Netzarim im Gaza-Streifen strategisch genauso wichtig sei wie Tel Aviv.
Politik von gestern. Heute ist er derjenige, der den Terroristen die Waffen aus der Hand schlug und damit auch Arafats Nachfolger den Weg frei gemacht hat.
Noch größer sind die Stolpersteine für den neuen Partner Mahmud Abbas. Der hat immer erklärt, dass er dieselben politischen Ziele verfolge wie sein Vorgänger - aber gegen militärische Mittel auf diesem Weg eintritt. Schier unvorstellbar für viele Palästinenser, die nur in Kategorien von Krieg und Diktatur denken können. Unvergessen sind die wenigen Wochen Waffenruhe, bis im Juni 2003 nach dem Akaba-Gipfeltreffen wieder ein Linienbus in die Luft flog und Israelis einen Hamas-Führer zu liquidieren versuchten. Damals hatte US-Präsident George W. Bush beide Seiten persönlich auf Waffenruhe und Neubeginn eingeschworen.
Auch zur Stunde basteln noch Islamisten hinter Abbas' Rücken an Kassim-Raketen. Schlimmer noch: Die Hisbollah-Leute könnten den Waffenstillstand noch ganz anders unterlaufen, indem sie das oft angekündigte Attentat auf Mahmud Abbas ausführen.
Verkehrte Welt: Nicht der bei den Palästinensern verhasste Scharon, sondern ihr eigener, gewählter Präsident wäre die neue Zielscheibe des Terrors.
Nach dieser Logik hätte Frieden nur Chancen, wenn Abbas israelische Leibwächter nähme.

Artikel vom 09.02.2005