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Die Herrschaften lieben üppige Mahlzeiten, umrahmt von barocken Kunstwerken, die sie sich von ihrem Diener abends auf dieser vergoldeten Staffelei präsentieren lassen.«
»Ich glaube, hier wird Frivoles mit höchster Ernsthaftigkeit behandelt.«
»Das ist viel zu zahm ausgedrückt. Die Signora hat die Vertäfelung ihres Schlafgemachs, wie sie mir beim Einzug erklärte, in der blaugrünen Farbe ihrer Augen lackieren lassen. Dagegen schwärmt der Herr des Hauses für seltene exotische Materialien. Sein Arbeitszimmer ist das reinste Kabinett, gearbeitet in Pergament, Bronze, Elfenbein und Ebenholz sowie in Haifischleder.«
»Wo bist du nur hineingeraten É«
»Du solltest erst den zweiten Salon sehen. Willst du einen Blick hineinwerfen?«
»Warum nicht?«
»Dann komm É« Livia zog den linken Flügel einer Schiebetür zurück, der den Blick auf das Innere des Raumes freigab.
Der Salon war mit italienischen und französischen Antiquitäten überladen. Verzierte Eisengitter, kostbare Kaminmöbel und üppig geschnitzte Truhen wetteiferten um Aufmerksamkeit. Die Augen gingen ihm schier über beim Anblick der Stühle und Polstermöbel in blassem karmesinrotem Samt, deren Quasten in dieser fremden Umgebung müde herunterhingen. Doch nicht genug damit. Ein langes Büfett mit Intarsien erstreckte sich an der einen Stirnseite, während davor zwei vergoldete Leder-Paravents, auf denen sich Blumen, Blätter und Vögel in dunkler Pracht entfalteten, das Auge beleidigten. An den Wänden hingen düstere, bedrückende Gemälde in protzigen Rahmen neben zwei canalettoartigen Veduten, und die Schritte wurden gedämpft durch Teppiche und Brücken, die wohl einst farbenprächtig gestrahlt hatten, jedoch durch Alter und Abnutzung stumpf geworden waren.
»Das reicht!«, stöhnte Duncan, »ich denk, ich habe genug gesehen.«
Livia zog die Schiebetür wieder zu. »So, nun besichtigen wir das kleine Paradies, den Ort, an dem wir unser zweites Frühstück zelebrieren werden É«
Sie steuerte auf eine zweite Schiebetür zu, die vom ersten Salon auf eine kleine Terrasse führte, welche als romantische Loggia gestaltet war und auf der eine Gruppe hoher Korbmöbel zum Sitzen einlud.
Duncan trat hinaus, blinzelte in die Sonne und streckte sich in der Wärme.
»Ahhh! Wirklich paradiesisch.«
»Was habe ich dir gesagt? Ein Ort zum Genießen!«
Duncan legte seinen Arm um Livias Schulter und zog sie an sich. »Ich beneide dich. So klar und leuchtend ist das Wetter oben im Norden an manchen Tagen zwar auch. Was uns allerdings fehlt, ist die wärmende Sonne. Besonders in dieser Jahreszeit.«
»Hier hast du beides und vielleicht noch ein wenig mehr É«
»Was ist das Mehr É?«, versuchte er sie zu locken.
»Adam und Eva werden aus diesem Paradies hier nicht vertrieben É«
Durch die Bogen blickten sie südlich über den abfallenden Garten hinweg ins Tal und auf die jenseitigen Hügel. Die Grünfläche war mit Obstbäumen bepflanzt.
Livia wartete noch ein wenig, bis sie den Eindruck hatte, dass Duncan sich an der Umgebung satt gesehen hatte. Dann klatschte sie unternehmungslustig in die Hände: »Was essen wir zum Kaviar?«
»Schlag was vor!«
»Möchtest du ein wachsweich gekochtes Ei oder einen ungebutterten Toast oder eine gute mehlige Pellkartoffel dazu? Oder lieber eine Folienkartoffel?«
»Ich bin für mehlige Pellkartoffeln.«
»Wunderbar! Und was darf ich als Aperitif kredenzen?«
»Ich lasse mich einfach von dir überraschen.«
Livia lächelte als Antwort, nickte und deutete auf den Korbsessel. »MachÕs dir dort bequem.«
»Kann ich dir etwas abnehmen?«
»Danke, ich komme zurecht.« Dann stupste sie ihn in die Rippen. »Mit dir allein in einer Küche würde es außerdem eine Ewigkeit dauern É«
Er grinste. »Na! Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als den Philosophen zu mimen.«
»Lern einfach, wie man das Dasein genießt«, erwiderte Livia und verschwand mit einem aufreizenden Hüftschwung in der Villa.
Die Wärme und Stille waren erquickend. Er verschränkte die Arme hinter seinem Kopf und schnupperte plötzlich an seinem Arm den Duft Livias. Für einen Moment schloss er die Augen, während er noch einmal an der Innenseite seines Oberarmes entlangschnüffelte. Dann sah er die wiegende, sanfte, sichere Bewegung Livias vor seinem inneren Auge. Auf einmal fühlte er sich all den Leuten, die dies alles nicht erleben konnten, so verdammt überlegen É
Doch schon vernahm er wieder Schritte. Er öffnete die Augen. Livia brachte zwei schlanke Gläser, deren Inhalt hauchzarte Perlenschnüre produzierte und am kalten Glas die Wärme kondensieren ließ. Sie reichte Duncan einen Kelch. »Ein bisschen Vivaldi, ein bisschen Verdi. Er hat von beiden etwas É«
»É ein bisschen Velázquez, ein bisschen Venus É«
Während sich ihre Gläser näherten, blickten sie sich tief in die Augen, stießen vorsichtig an und probierten den goldgelben, perlenden Saft.
»Voilà! Eine brillante Seele!«, pries Duncan den ersten Schluck. »Was hast du da nur ausgesucht?«
»Ausnahmsweise nichts Italienisches. Das kommt erst zum Finale.«
»Mhmmm! Champagner É«, sagte Duncan gedämpft.
»Ein Hauch von Luxus.« Livia stellte ihr Glas vorsichtig ab. »Ich hole die Flasche und den Eiskübel.«
Duncan nippte wieder an seinem Glas und blinzelte in die Sonne. »Wahrlich, ein Hauch von Luxus und Laster É«, redete er vor sich hin. Lass uns die kommenden Stunden so genießen, dass wir uns unser ganzes Leben lang gern daran erinnern werden É, erinnerte er sich an den Satz, den Livia in der Küche gesagt hatte. Er nahm sich im selben Augenblick vor, alles dafür zu tun É
»Ich besitze davon nur eine einzige Flasche«, sagte Livia, als sie den mit Eiswürfeln gefüllten Kübel mit der Champagnerflasche darin abstellte.
»Darf ich?«, fragte Duncan und als Livia nickte, zog er die Flasche aus ihrem eisigen Nass. »ÝComtes de Champagne, Taittinger, Prestige-Cuvée 1959Ü«, las er ehrfurchtsvoll. »Ein Juwel, nehme ich an?«
»Ich habe ihn aus Mailand mitgenommen und mir geschworen, ihn erst zu öffnen, wenn die richtige Stunde dafür gekommen ist.«
Duncan sah, wie ihre Augen für einen Moment feuchten Glanz bekamen. Er erwiderte nichts, sondern folgte stumm ihrem Beispiel, indem er ebenfalls das Glas erhob.
Es war etwas schwül geworden, was um diese Jahreszeit selten vorkam. Die ersten beiden Gläser waren bald geleert. Livia beobachtete versonnen, wie Duncan den Champagner nachgoss, der Schaum im Glas in die Höhe schoss und für wenige Sekunden eine Haube bildete, die dann wieder zusammenfiel.
Sie wunderte sich selbst, dass sie nicht die geringste Befangenheit empfand, obwohl sie diesen Mann erst kurz kannte. Doch ihr Kopf und jeder Zentimeter ihres Körpers sagten ihr, dass sie das Richtige tat É
Als die Gläser geleert waren, sagte Livia energisch: »So, nun werden wir den Tisch eindecken.«
Sobald dies geschehen war, verschwand sie wieder in der Küche. Nach einer Weile erschien sie mit dem Tablett, auf dem frisch gerösteter Toast, dampfende Pellkartoffeln und zwei stattliche Portionen Kaviar in Kristallschüsseln standen - üppige »Perlen der Lust«. Daneben entdeckte Duncan zwei Schildpattlöffel, dazu zwei Gläser und eine Flasche eisgekühlten polnischen Wodka. Doch was seine Lust weit mehr entfachte, war ihr weißes, superkurzes, fast transparentes, von zwei Spaghettiträgern gehaltenes Kleid, das ihre Figur mehr ent- als verhüllte. Sie hatte sich frisch gemacht, umgezogen und ihre Lippen neu geschminkt.
»Halt, es fehlt noch etwas!«, rief Livia.
»Ich glaube, es ist alles perfekt É«
»Nein, nein. Ich möchte gern noch eine bestimmte Musik dazu hören.«
Kurz darauf ertönte aus einem hinter Weinranken versteckten Lautsprecher leise eine fast emotionslose Stimme. Als Tafelmusik hatte Livia eine Dylan-Platte aufgelegt. Als House of the Rising Sun erklang, kredenzte sie ihm den Kaviar. Als er wiederum ihr Glas mit Wodka füllte, sah sie ihm so in die Augen, dass ihm schwindlig wurde. Genießerisch öffnete sie ihren Mund und schob langsam die Gabel mit einem Häufchen frischen Kaviars hinein. Wie unter Zwang folgte Duncan ihrem Beispiel.
»Weißt du auch, wie man den Kavier richtig genießt?« Als Duncan nichts erwiderte, fuhr sie fort: »Nimm eine dicke Gabel davon, zerdrücke Perle für Perle mit der Zunge, schiebe ein Stück Pellkartoffel nach und gieße am Ende den eiskalten milden Wodka hinterher. Mhmm É! Komm, wir probieren es gemeinsam.«
Genüsslich leckte Livia mehrmals ihre Gabel ab, bevor sie erneut Kaviar auf die Zinken häufte. Duncan tat es ihr nach. Er spürte den zarten Meer-Nuß-Geschmack an seinem Gaumenbogen. Der Wodka am Ende war tatsächlich überraschend mild.
»Der polnische ist weitaus milder als der russische«, klärte Livia ihn auf, »und ein Champagner würde das Fischige im Kaviar unnötig verstärken. Über Wodka geht bei Kaviar nichts!«
Das Ritual wiederholte sich, bis die Schüsseln geleert waren. Die zunehmend schwüle Luft ließ Duncan einen Hemdknopf öffnen. Nach einem weiteren Glas Wodka war ihm, als fühlte er alle seine Sicherungen durchbrennen.
»Und jetzt schließ bitte die Augen É«, schnurrte Livia.
Er tat ihr den Gefallen.
»Gut! Nun stell dir vor, wir reiten zusammen nackt auf einer weißen Stute in der Abendsonne an einem Meeresstrand dahin É«(wird fortgesetzt)

Artikel vom 16.02.2005