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Time is ooooon my side É«, sang Duncan begeistert aus voller Kehle mit, was Livia amüsierte. Nach wenigen Takten war auch sie angesteckt von Stimme und Melodie. Kurz darauf sangen sie fröhlich im Duett den Refrain: »Time É is É ooooon É my É side É«
»Ich hoffe, du magst die Stones«, fragte Duncan am Ende des Songs.
Livia legte ihre Hand auf seinen Arm. »Ich empfinde das Gleiche wie du.« Dann deutete sie nach vorn: »Halt an. Dort vorn rechts ist der Laden.«
»Soll ich dich begleiten?«
»Nein, nein, warte. Ich mach das schon É«
Livia stieg aus, streckte sich ein bisschen, wodurch alles an ihr wieder zur Geltung kam, was ihre umwerfende Weiblichkeit ausmachte. Duncan winkte wie zum Abschied vor einem Bahnhof, und sie lächelte durch die Windschutzscheibe zurück, bevor sie im Laden verschwand.
Als sie nach einer Weile bepackt mit Einkaufstüten zurückkam, schlüpfte Duncan aus dem Wagen, um ihr beim Verstauen auf dem Rücksitz behilflich zu sein.
»Nimm bitte die Flaschen und stell sie hinter deinen Sitz«, bat Livia.
»Asti Spumante É«, las Duncan vom Etikett ab.
»É wird aus Muskateller-Trauben gemacht. Er ist der beste! Aber nur der von Cinzano«, sagte Livia mit Stolz in der Stimme.
»Und was ist das?«, fragte Duncan erstaunt, als ihm eine Stülpdeckeldose entgegenkullerte.
»Lies vor!«
»Kaviar É Malossol É Sovjet Union.«
»Nur für uns beide«, raunte Livia geheimnisvoll.
»Bei Gott, ganz schön extravagant.«
»Magst du keinen Kaviar?«
»Doch, ich mag ihn, wenn ich ihn auch selten gegessen habe. Ich habe einmal gelesen, Kaviar wäre eine Delikatesse, deren Wohlgeschmack man erst erlernen muss.«
»Sehr klug von dem Schreiberling. Er hat Recht. So ist es mit fast allem. Für mich sind es Perlen der Lust.«
Duncan wog in seiner Hand das Gewicht der Dose. Mindestens ein halbes Pfund, schätzte er. Die Büchse war eine kleine Investition. Livia hatte ihn indessen bei seiner Gewichtsschätzung beobachtet.
»Meinst du, dass er für uns beide reichen wird?«, fragte sie ironisch.
»Ich glaube eher, du erwartest noch Gäste É«
»Wo denkst du hin. Das ist bei mir die reine Sucht.«
»Süchtig nach Kaviar?«
»Süchtig wird man nach Kaviar einfach durch den Geschmack.«
»Ich verstehe. Du gehst davon aus, dass unser Bedarf an Kaviar in nächster Zeit steigen wird.«
»Ja, es kann nie genug sein. Weißt du, die feinen Eierchen allein genießen zu müssen beschert einem nur die halbe Freude.«
»Jetzt ist mir alles klar. Können wir?«
Livia sah sich prüfend im Fond des Fiat um. »Ich gebe zu, ein wenig eng ist er schon, mein kleiner Flitzer.«
»Hauptsache, wir kommen damit wieder nach Asolo«, erwiderte Duncan amüsiert.
Ein stilles Schmunzeln konnte er sich nicht verkneifen. Das mit dem Kaviar hatte sie seiner Überzeugung nach pfiffig geplant. War es denkbar, dass sie ihn damit fangen wollte? Einfangen als Gutachter der National Gallery? Der Gedanke war naheliegend, aber irgendwie glaubte er nicht so recht daran. Der Preis war hoch, er konnte nur gewinnen. Plötzlich spürte er ein sanftes Prickeln auf seiner Haut. Sein Pulsschlag wurde schneller É
Die Fenster waren offen, und der warme Septemberhauch lüftete die Kleider. Am Ende von Possagno führte die Straße schnurgerade weiter, immer etwas aufwärts. Die Straße, auf der sie entlang fuhren, wurde von einer Doppelreihe schlanker Silberpappeln gesäumt.
Der Saum von Livias Kleid rutschte durch den Luftstrom nach oben. Unwillkürlich fing Duncan an, mehr neben sich als nach vorn auf die Straße zu blicken. Der Wind spielte in ihrem Seidenkleid, und die Haut ihrer gebräunten Oberschenkel glänzte seidig, als wären sie mit Massageöl eingerieben. Ein sich steigerndes Verlangen ließ ihn wie über dem Feuer schweben. Mit beiden Händen am Lenkrad kam er sich vor wie ein Gefesselter, der davon träumt, dass ihm die Ketten abgenommen werden.
Livia sah ihn von der Seite an. Wie unbeabsichtigt ließ sie ihr Knie gegen den Schaltknüppel wippen, sodass Duncan es mit der Hand streifen musste. Sie stellte mit Genugtuung fest, dass ihr Chauffeur immer nervöser wurde. Sie selbst hätte aufstöhnen können, so erregend war die Situation in dem engen Auto, obwohl noch nichts passiert war. Sie beschwor in letzter Zeit allzu oft ihre Erinnerung, eine Sucht, die zur Sehnsucht wurde. Doch sie spürte, dass die atemberaubende, drängende Kraft neben ihr alle ihre Sehnsüchte erfüllen würde.
Nur ein außergewöhnlicher Mann kann mich erobern. Sie erinnerte sich noch an ihre eigenen Worte. Livia gestand sich im selben Moment ein, dass sie sich schon bei ihrer ersten Begegnung auf der Terrasse des Hotels in Asolo zu Duncan hingezogen gefühlt und dabei instinktiv den Wunsch empfunden hatte, von ihm in den Armen gehalten zu werden. Am liebsten würde sie ihn jetzt anflehen, den nächsten Feldweg anzusteuern, um Kaviar Kaviar sein zu lassen É
Duncan drehte am Radio. Der Sender brachte Songs der englischen Hitparade. »Darf ich ein wenig lauter stellen?«
»Mach nur É«, lächelte Livia.
»Glad É all É over É«, ertönte die Klangwalze des Tottenham Sounds von Dave Clark Five aus dem Lautsprecher, während Duncan den stampfenden Rhythmus mit der Hand auf dem Lenkrad mitklopfte.
Langsam näherten sie sich wieder Asolo. An einer Auffahrt bogen sie ab. Sie führte auf einen Hügel, westlich vom Stadtkern gelegen. Wenig später standen sie vor einer hohen Mauer, vor der zwei Autos bequem geparkt werden konnten. Beide schälten sich aus dem kleinen Fiat.
»Gütiger Himmel!«, rief Duncan, während er sich umsah. »Der Erbauer hat sich wohl zum Ziel gesetzt, ein Paradies auf Erden zu schaffen?«
»Ja, diese Villa ist von einem Sieneser Architekten im vorigen Jahrhundert erbaut worden.«
»Darf ich fragen, wie du dazu gekommen bist?«
»Hilfst du mir erst beim Ausladen? Der Kaviar und der Sekt müssen in den Kühlschrank. Drinnen erzähl ich dir dann alles. Einverstanden?«
»Okay.«
Durch einen schlicht gehaltenen, gemauerten Bogeneingang erreichten sie einen kleinen Vorplatz, der den Blick auf ein einstöckiges Gebäude freigab, dessen Front einer venezianischen Barockfassade glich. Über dem Eingangsportal prangte eine Palmendekoration, die von einem auf zwei Konsolen gestützten, vorspringenden Gesims geschützt wurde. Livia schloss auf.
»Ich habe mich hier für ein Jahr günstig eingemietet. Die Eigentümer der Villa halten sich zurzeit in Australien auf und sind mir dankbar, wenn ich nach dem Rechten sehe.«
Kurz darauf kamen sie durch einen hohen Gang, an dessen Ende die Küche lag. Als sie alle Tüten auf dem Tisch deponiert hatten, standen sie sich für einen kurzen Augenblick stumm gegenüber. Die Luft schien sich in Sekunden zu erwärmen. Duncans Blick war so heißhungrig, als wollte er Livia mit Haut und Haaren verschlingen. Sie nahm wie in Zeitlupe wahr, dass er seine Hände hob, um ihren Kopf wie die Schale eines Kelches zu umfassen. Sie schloss die Augen und ließ sich liebkosen. Sie spürte ein Vibrieren auf ihren Lippen, das sich bis in alle ihre Glieder fortsetzte. Ihr Atem ging schneller. Schon hatte er sie umfasst und presste ihren Körper an den seinen. Sie hielt ihren geöffneten Mund an sein Ohr, als wäre er eine glänzende Muschel, damit er das Meer in ihr hören konnte, das ihn willkommen hieß. Seine Hände durchdrangen die seidenen Kurven ihres Kleides und suchten stürmisch die nackte Haut. Livia rang nach Luft.
»Du bist herrlich É Ich liebe dich!«, hörte sie wie von fern seine heisere Stimme. Daraufhin hob er sie an wie in einem Ballett und ließ sie eng wieder an sich herabgleiten.
»Nein É nein É noch nicht É« Auch ihre Stimme klang leicht heiser. Dicht an ihrem Ohr spürte sie Duncans schnellen Atem. Behutsam drückte sie seinen Oberkörper für einen Augenblick auf Armeslänge von sich. Dann legte sie ihren Zeigefinger zärtlich auf seine Nasenspitze und hauchte: »Liebster É lass uns die kommenden Stunden so genießen, dass wir uns unser ganzes Leben lang gern daran erinnern werden.«
»Was hast du vor?«, fragte Duncan.
»Wenn du einverstanden bist, werden wir erst die Terrasse eindecken, danach stärken wir uns ein wenig, ja und danach É mal sehen, was danach kommt É«
Sie spürte seine heißen Lippen noch einmal auf ihrem Hals, bevor er sie freigab.
»Das Paradies É!«, seufzte er.
Daraufhin drehte sie ihn um, legte ihre Hände von hinten auf seine Schultern und schob ihn kurz vor sich her. »Komm, ich zeig dir ein kleines Paradies.«
Sie führte ihn durch den Salon, dessen Einrichtung aus einer beachtlichen Anzahl barocker und neobarocker Möbel bestand. Darunter war eine Sitzgruppe mit versilberten Muschelgrottenstühlen. Das Streben der Besitzer nach Ausgefallenem bewiesen auch die in Gestalt von Mohren geschnitzten Kerzenständer, die Delfine und die Lampenschirme im Fortuny-Stil sowie venezianisches Glas und viktorianische Wachsfrüchte unter Glasstürzen. Die reinste Orgie aller Stilarten. Duncan verschlug es den Atem. »Sind alle Räume so ausgestattet?«
»Das ganze Haus ist ein Tempel des Obskuren. Findest du nicht auch?«
»Es ist nichts ausgelassen É«
»Sieh nur, dort«, wies Livia Duncan auf eine vergoldete Staffelei neben dem Tisch hin.
»Das darf nicht wahr sein! Was soll denn das?«(wird fortgesetzt)

Artikel vom 15.02.2005