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Firmen kündigen den Vermissten

Anwaltsverein berät Angehörige der Flutopfer in Arbeits- und Sorgerecht

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). »Vater ist tot, seine Lebensgefährtin räumt die Wohnung aus - darf die das?« Bei Fragen wie diesen läuft es den Juristen des Deutschen Anwaltsvereins (DAV) in Berlin eiskalt den Rücken herunter. Auch wenn die Flutkatastrophe in Südostasien aus den Schlagzeilen verschwunden ist, drehen sich die Gedanken der Angehörigen von Ertrunkenen und Vermissten nur um die Folgen.

558 Deutsche sind nach Angaben des Auswärtigen Amtes verschollen; für die Hinterbliebenen hat der DAV eine bis zum 15. Februar kostenlose telefonische Rechtsberatung unter der Nummer 0307261520 eingerichtet.
»Die Angehörigen stehen vor einem Berg von Problemen - 30 Anwälte helfen, wo sie können«, sagte der Sprecher des DAV, Swen Walentowski, dieser Zeitung. Mehr als 60 Anrufe hat der DAV seit Mitte Januar registriert, viele davon zum Arbeitsrecht. »Unternehmen wollen den Arbeitsplatz nicht ewig offen halten«, berichtet Walentowski. Umso bestürzter seien Partner und Kinder, wenn ihnen die Kündigung für den Verschollenen zugestellt wird. Der Deutsche Anwaltverein rät, beim Arbeitsgericht vorsorglich Kündigungsschutzklage zu erheben, und zwar in den ersten drei Wochen nach Erhalt des Schreibens.
Wenn die Angehörigen der Personalabteilung des Unternehmens mitgeteilt haben, dass der Arbeitnehmer vermisst wird, könne ein Kündigungsschreiben so lange nicht wirksam zugehen, bis der Tod festgestellt ist. Anspruch auf Lohnfortzahlung bestehe gegenüber der Firma jedoch nicht, erklärt der DAV. Die Regelung greife nur bei Erkrankungen, die zu Arbeitsunfähigkeit führen.
Wenn es um das Testament geht, gelten bei den in Südostasien vermissten Deutschen andere Gesetze. »Angehörige dürfen frühestens am 26. Dezember 2005, ein Jahr nach dem Ereignis, erben«, erklärte Swen Walentowski. Beim Amtsgericht müsse zuvor eine Verschollenheitserklärung beantragt werden. Damit Hinterbliebenenrente und Lebensversicherung ausgezahlt werden, müsse normalerweise eine Sterbeurkunde nachgewiesen werden. Im Falle der Flutopfer hätten sich die Rentenversicherungsträger (die BfA, die Landesversicherungsanstalten, die Bundesknappschaft und die Seekasse) sowie die Assekuranz darauf verständigt, andere Unterlagen zu akzeptieren, aus denen hervorgeht, dass sich der Versicherte zum Zeitpunkt der Flutwelle in Katastrophengebieten aufgehalten hat und dort vermisst wird. Dazu zählen nach Angaben des DAV Passagierlisten von Fluglinien, Listen des BKA, Briefe oder Postkarten der vermissten Person.
Auch das Sorgerecht für Kinder lässt Angehörige die Telefonnummer des DAV wählen. »Meine Enkelin ist jetzt Vollwaise - wer soll sich um sie kümmern?«, fragt die Großmutter. Fallen beide Eltern für das Kind aus, müsse eine Vormundschaft oder Pflegschaft für das Kind eingerichtet werden, antwortet der Jurist. Das könnten auch die Großeltern oder die Pflegeeltern, die das Kind mittlerweile betreuen, beantragen. Ist nur ein Elternteil verschollen, könne der andere Partner beim Vormundschaftsgericht das Ruhen der elterlichen Sorge des Vaters oder der Mutter beantragen. Das sei umso wichtiger, wenn Entscheidungen wie Einschulung oder Operation keinen Aufschub dulden.

Artikel vom 10.02.2005