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Wie können Sie es wagen! Lassen Sie sich woanders inspirieren, junger Mann. Dies ist ein öffentliches Museum. Wehe, Sie beschädigen die Figuren! Sie dürfen sie nicht anfassen. Haben Sie nicht die Schilder gesehen?« Dabei musterte sie Livia vorwurfsvoll von oben bis unten.
Duncan hatte sich wieder gefasst. Mit einem entwaffnenden Lächeln ging er auf die Frau zu, nahm ihre Hand und küsste sie galant. »Signora, in diesem herrlichen Domizil erotischer Kunst hat Prüderie einfach keinen Platz É« Erstaunt und unfähig, sich dagegen zu wehren, ließ sie es geschehen. Daraufhin sah er sie an und setzte ein bezauberndes Lächeln auf. »É und in Ihren Augen lese ich, dass Sie das verstehen.«
»Ach É machen Sie doch, was Sie wollen!«, schnaubte sie entrüstet. Doch Duncan setzte nichts als sein lächelndes Gesicht dagegen.
»Aber beschädigen Sie mir die Skulpturen nicht«, und mit diesen Worten rauschte sie ab.
Duncan drehte sich um und ging langsam auf Livia zu, die sich über den Zwischenfall amüsiert zeigte. Er streckte seine Arme aus und blieb stehen. Livia kam mit wenigen Schritten heran und schmiegte sich an seine Brust, als wolle sie mit ihm verschmelzen.
Duncan umfasste sie zärtlich. Das wundervolle, biegsame Geschöpf in meinen Armen, so ging es ihm durch den Kopf, ist eine Gepardin. Doch das anflutende Glücksgefühl verdrängte jeden weiteren Gedanken. Wieder trafen sich ihre Lippen. Ihre Körper drängten zueinander.
»Nicht hier É« Livia rang nach Luft. Während einer kurzen Atempause lugte Duncan zum Eingang der Halle. »Ich gäbe was darum, wenn wir unsichtbar wären.«
Behutsam löste sich Livia aus seinen Armen. »Komm, wir haben hier genug gesehen.« Sie nahm ihn bei der Hand und zog ihn mit sich.
»Lass uns Canovas Sammlung hinter uns bringen. Unser Tag hat doch erst begonnen É«
Duncan legte seine Hand über ihre Schulter, während sie ihn um die Taille fasste. Zusammen gingen sie zum Wohnhaus Canovas zurück, dem schmalen Vorderhaus, durch das sie anfangs hereingekommen waren. Zeichnungen und persönliche Erinnerungstücke schmückten die Räume, dazu waren Büsten und Kleinfiguren, vor allem einige Tonbozzetti in Vitrinen und auf Tische und Schränke gestellt. Ein gemaltes Brustbild Canovas geriet in ihr Blickfeld. Es stellte den Künstler als feinnervigen, ernsten, fast asketischen Typus dar.
»Was glaubst du? Die schönen weiblichen Modelle auf seinen Zeichnungen, die herrlichen Frauenkörper, die er in seinen Figuren verewigte - hat er sie nur mit den Augen genossen?«, fragte Duncan.
»Schon wieder diese Frage aller Fragen. Sie verfolgt dich wohl. Aber wenn ich so um mich blicke, komme ich zu der Auffassung, Canova war auf jeden Fall ein hervorragender Geschäftsmann!«
»Wie kommst du darauf?«
»Er hat offensichtlich immer wieder geschickt seine Vorlagen benützt und neu kombiniert. Das ist das Geheimnis seines Erfolgs.«
Livia, ein wenig gelangweilt, ging ein Stück voraus. Schlendernd erreichte sie einen mittelgroßen Wohnraum. Der etwas dunkel und muffig wirkende Raum war wohl das ehemalige Schlafzimmer des Künstlers.
»Sie könnten ein wenig mehr lüften!«, entschlüpfte es ihr. Als sich ihre Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, trat sie hinein, während ein Gemälde an der rechten oberen Wandseite ihre Aufmerksamkeit anlockte. Sie ging ein wenig zur Seite und wieder zurück, um den störenden Lichteinfall zu vermindern.
»Duncan! Komm! Schnell!«, rief sie hinaus in den Gang.
Irritiert betrat er den Raum und ließ sich von Livia in die Raummitte ziehen. Stumm wies sie auf das Gemälde rechts oben an der Wand.
Duncan reagierte erst gar nicht. Dann platzte es aus ihm heraus. »Bei Zeus, das hätte ich nicht erwartet.«
Livia schmiegte sich voller Freude an ihn. Duncan nahm sie bei den Schultern und drückte sie vor Begeisterung. »Weißt du, was das hier bedeutet?«
»Sag es mir É!«
»Dies könnte der Beweis sein, dass Canova VelázquezÕ Venus gesehen hat. Und zwar unsere Venus!«
Wieder blickte er auf das Gemälde und verharrte eine Weile davor.
»An dieser Venus stimmt nur ein Detail nicht. Ihr Oberkörper liegt auf zwei Kissen, nicht auf einem É« Nach einer kleinen Pause fuhr er fort: »Ich kann mir jetzt auch denken, was die hochgelehrten Professoren an den Fotos irritiert und gegen das Bild eingenommen hat.«
»Sag schon! Was ist es?«, drängte Livia.
»Diese Venus hier ist unbekleidet. Unserer Venus wurde im Nachhinein ein Schleier verpasst, damit die männlichen Betrachter auf keine dummen Gedanken kommen.«
»Hast du dafür Beweise É?«
»Der Verdacht liegt nahe. Und es gibt unendlich viele ähnliche Schicksale von Aphroditen, Lucrezien, Susannen und Evas, die nachträglich Hosen verpasst bekommen haben.«
»So, so É«, schnurrte Livia und schmiegte sich zufrieden an seine Brust. »Immer wieder die Männer! Eine Frau hätte diese Entstellung nie zugelassen.«
»Da bin ich nicht so sicher.«
»Würdest du denn dafür sein?«
»Verstehe ich dich richtig? Soll ihr der Schleier genommen werden?«
»Ich stimme dafür!«
»Oh! Was für ein Fest für den Restaurator!«
»Ich vermute, ich kenne da einen, der das Handwerk der Entschleierung aufs beste beherrscht.«
»Verrätst du mir seinen Namen?«
»Erst hat er noch eine Prüfung zu bestehen, bevor er den Auftrag von mir erhält.« Gleichzeitig zog sie taxierend ihre rechte Augenbraue hoch. »Vielleicht ist auch noch ein wenig Übung von Nöten É«
»Eine Prüfung? Ob ich die wohl bestehen würde É«
»Du solltest dich vorher noch mit einem zweiten Frühstück kräftigen«, schlug Livia kühl vor. Duncan zeigte sich für einen Moment ratlos. Livias Augen begannen zu leuchten. Sie stupste seine Nasenspitze und hauchte: »Das war eine Einladung. Zu mir, nach Asolo É«
Duncan umfasste ihre Taille. »Lass uns eilen, meine Venus É«




Possagno - Asolo,
September 1964
Die Art, wie Livia dastand, das Gesicht der Sonne entgegengestreckt, das eine Bein ein wenig vor das andere gestellt, mit der Grazie eines sanft geschwungenen Rückens, ließ Duncan für einen kurzen Moment innehalten.
»Frauen müssten immer so stehen É«, flüsterte er unhörbar für Livia. Ihr Gürtel umschloss eng die Taille, sodass die schwingende S-Linie von Brust und Hinterteil auch aus der Entfernung deutlich hervortraten. Jetzt, nachdem sein Auge durch das erotische Kabinett Canovas geschult war, fiel ihm dies in der strahlenden vormittäglichen Sonne besonders deutlich auf. Die Kontur übte eine unwiderstehliche Anziehung auf ihn aus.
Er löste sich aus dem Türeingang der Gypsotheca und ging zum Parkplatz hinüber, wo Livia wartete. Sie kam ihm einige Schritte entgegen. Livia besaß einen fesselnden Gang. Es war das beherrschte Wippen in den Hüften, das die Augen der Männer unwiderstehlich anzog. Sie schob das Knie behutsam vor, sodass die Schenkel den ganzen Unterkörper in Bewegung brachten wie ein Schiff, das sich auf kurzen Wellen wiegt.
»Hast du alles bekommen?«
»Ja, sieh hier. Diesen prächtigen Bildband und diese Informationsbroschüre auf Italienisch und Englisch. Beides wird uns weiterhelfen.«
»Und was hast du hier noch?« Sie deutete auf eine kleine Tüte.
»Viele Abbildungen unserer Hübschen in Postkartenformat.«
»Dann sind wir ja gerüstet.«
»Ja, ich denke, wir sind unserem Ziel einen großen Schritt näher gekommen.«
»Dem Velázquez?«, schmollte Livia gekonnt.
»Nicht nur É Vielleicht bin ich der schönsten Venus auf der Spur.«
Livia hatte sich schon umgedreht und hielt auf ihren Fiat zu, bevor Duncan etwas hinzufügen konnte. Sie hat wirklich flotte Beine, ging es ihm durch den Kopf, wobei er sich wunderte, dass ihm dies jetzt erst so vibrierend ins Bewusstsein geriet.
»Willst du fahren?«
»Rechtsverkehr? Ich bin das nicht gewohnt.«
»Umgekehrt würde das einen italienischen Mann in Schottland nicht kratzen. Außerdem sollte man alles im Leben einmal ausprobiert haben É« Sie zwinkerte ihm zu und reichte ihm den Wagenschlüssel. »Nur Mut.« Mit einem gekonnten Hüftschwung ging sie zur Beifahrerseite hinüber, wohl wissend, dass seine Blicke ihr folgten. Bevor sie einstieg, straffte sie sich und zog ihr Kleid glatt, als wären in ihm alle Herrlichkeiten der Welt versammelt.
Als sie im Wagen saßen, legte Livia lässig ihren nackten Oberarm um Duncans Sitzlehne und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Er wollte die Arme vom Steuerrad nehmen, um sich zu revanchieren, aber sie blockte zärtlich ab. »Wir müssen noch etwas für unser zweites Frühstück besorgen.«
»Wohin wollen wir fahren?«
»Wir gondeln auf der gleichen Straße zurück und werden dort vorn in einem süßen kleinen Laden die noch fehlenden Zutaten besorgen.«
»Gut, sag mir, wo es lang geht«, erwiderte Duncan.
Ihre Beine wurden von der Windschutzscheibe gespiegelt und Duncan beobachtete das Spiel ihrer Schenkel aus dem Augenwinkel heraus. Das Auto besaß ein Radio, und Livia versuchte, einen Sender einzustellen.
»Halt! Das warÕs«, rief Duncan plötzlich wie elektrisiert.
»Was meinst du É?«
»Mach zurück. Die Rolling Stones!«
»Was für Stones É?«
»Rolling É Ja! Jaaa!«, tönte Duncan, als Livia den Sender wiedergefunden hatte.
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 14.02.2005