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Gefängnisstrafe für Frauenarzt

Patientin missbraucht - Gericht verhängt Berufsverbot gegen Gynäkologen

Von Christian Althoff
Herford (WB). Das Amtsgericht Herford hat am Freitag einen Gynäkologen (65) aus Enger wegen sexuellen Missbrauchs einer Patientin zu neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Außerdem verhängte die Richterin ein fünfjähriges Berufsverbot gegen den Frauenarzt, der alle Vorwürfe bestreitet.

Schon lange vor Verhandlungsbeginn sind alle Sitzbänke in Saal 5 besetzt. »Ich bin extra aus Berlin gekommen«, erzählt eine etwa 40 Jahre alte Frau und erklärt, sie sei als 13-Jährige von dem Arzt unsittlich berührt worden. »Damals hat mir niemand geglaubt. . .« Auch andere Zuschauerinnen behaupten, in der Praxis des Gynäkologen Opfer von Übergriffen geworden zu sein. »Aber als ich mich endlich durchgerungen hatte, den Mann anzuzeigen, war die Sache schon verjährt«, schildert eine Frau unter Tränen.
Ein Raunen geht durch den Saal, als Dr. Eberhard S. auf der Anklagebank Platz nimmt. Grauer Anzug, Goldrandbrille, schütteres Haar. Oberstaatsanwalt Klaus Röwirft dem Gynäkologen vor, im Juni 2004 eine 22-jährige Patientin minutenlang im Intimbereich massiert, gestreichelt und sie dann gefragt zu haben: »Spüren Sie nichts?« Außerdem soll der Arzt die junge Frau gebeten haben, ihn im Intimbereich zu rasieren. Sie hatte ihn daraufhin angezeigt.
»Das ist alles ein Missverständnis«, erklärt der Gynäkologe, der es vermeidet, zu den vielen Frauen im Zuschauerraum hinüberzusehen. Auch als Oberstaatsanwalt Röwer ihm mit eindringlichen Worten vorhält, dass es ähnlich lautende Aussagen von zwölf weiteren Patientinnen gibt, bleibt der Arzt unbeeindruckt und spricht von »Trittbrettfahrerinnen«, die ihm schaden wollten. »Ich habe diese Frauen ganz normal untersucht!«
Die Zuschauer müssen den Saal verlassen, als die Prozessbeteiligten die Patientin 25 Minuten lang nach ihren Erlebnissen in der Arztpraxis befragen. Anschließend steht für den Gutachter Prof. Dr. Henning Kühnle von der Medizinischen Hochschule Hannover fest, dass es eine »nicht akzeptable Behandlung« war, die die 22-Jährige erlebt hat.
In seinem anschließenden Plädoyer lobt der Oberstaatsanwalt das couragierte Vorgehen der Patientin: »Hätte sie sich nicht an die Presse gewendet und ihren Fall öffentlich gemacht, hätten wir nie erfahren, dass es noch viele andere Patientinnen mit ähnlichen Erlebnissen gibt.« Röwer erinnert daran, dass der Arzt bereits 2002 von einer Frau angezeigt worden war, man das Verfahren aber eingestellt hatte: »Wir haben damals dem angeblich unbescholteten, seit 30 Jahren praktizierenden Arzt geglaubt. Das tun wir heute nicht mehr! Sie haben im Interesse Ihrer eigenen Luststeigerung gehandelt!«
Strafverteidiger Dr. Eckhard Vossiek plädiert dagegen auf Freispruch. Die Schuld seines Mandanten sei nicht erwiesen, und es sei zu befürchten, dass die Belastungszeugin ihr Erleben »übersteigert geschildert« habe, argumentierte er. Für Richterin Alexandra Sykulla, deren Urteil dem Antrag der Staatsanwaltschaft entspricht, bleibt allerdings kein Zweifel an der Täterschaft des Gynäkologen: »Sie haben die Unsicherheit der jungen Patientin schamlos ausgenutzt und die Frau missbraucht!« Erschwerend komme hinzu, dass der Arzt das Ermittlungsverfahren aus dem Jahr 2002 nicht zum Anlass genommen habe, sein Verhalten gegenüber Patientinnen zu ändern, erklärt die Richterin.
Dr. Eberhard S. - er steht mit 65 Jahren vor den Trümmern seines Lebens: Er ist geschieden, seine Praxis hat Insolvenz angemeldet, er lebt von 900 Euro im Monat, die ihm der Insolvenzverwalter zubilligt, und er darf in den kommenden fünf Jahren nicht mehr als Arzt arbeiten. »Trotzdem habe ich kein Mitleid mit ihm«, sagt eine Frau in der zweiten Zuschauerreihe. »Ich war einmal in seiner Praxis - und dann nie wieder. . .«

Artikel vom 05.02.2005