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Mit dem Horror fertig werden

Überlebende des Tsunami berichten


Von Uta Jostwerner (Text)
und Carsten Borgmeier (Foto)
Bielefeld (WB). »Was wir erlebt haben, das können auch Fernsehbilder nicht annähernd vermitteln«, sagen zwei Bielefelder, die der Flutkatastrophe in Südostasien nur um Haaresbreite entkommen sind. Doch auch Wochen nach dem Tsunami quälen die Bilder des Elends, kommen Angst- und Ohnmachtsgefühle oft unvermittelt wieder hoch. Einen seelsorgerischen Beistand haben die beiden Überlebenden in Pastor Hermann Rottmann gefunden.
Reden, um zu begreifen, was so unbegreiflich erscheint. Am Morgen des 26. Dezember 2004 sitzen Rolf Gunkel (55) und sein 45-jähriger Freund, der namentlich nicht genannt werden möchte, auf ihrer Frühstücksterrasse in Khao Lak. Die Unterkunft direkt am Strand besteht noch aus den klassischen Bambushütten und vermittelt urtümliches Flair. Ein Geheimtipp des 45-Jährigen, der Thailand und den Urlaubsort aus mehrfachen Besuchen bestens kennt. Und ein Umstand, der vermutlich beiden das Leben rettete.
»Zuerst sahen wir nur einen schmalen weißen Streifen am Horizont, der kräftiger wurde. Zugleich haben wir uns darüber gewundert, dass es so still war. Kein Affengeschrei, kein Vogelgezwitscher war an diesem Morgen zu hören«, erzählt Gunkel. Das Alarmsystem der beiden Bielefelder war in Bereitschaft gesetzt. »Als sich dann noch das Wasser wie bei einer plötzlichen Ebbe zurückzog, hat es bei uns Klick gemacht.« Die Zeit reichte gerade noch, um die wichtigsten Papiere aus dem Zimmer zu holen. »Dann sind wir gerannt.«
Bergauf durch einen Palmenhain, hoch auf die Hauptstraße und weiter in den höhergelegenen Dschungel hinein. 30 Meter hinter ihnen knallten die Wellen, krachten Bäume und Hütten, schrieen die Menschen, legten fünf Killerwellen das Urlaubsparadies in Trümmer. »Die Geräusche vergisst man nicht«, sagt Gunkel und ringt um Fassung. Als er am 31. Dezember körperlich unversehrt in Bielefeld ankommt, löst das Krachen des Silvesterfeuerwerks erneut unermessliche Angstgefühle bei ihm aus. Solche Rückblenden sind typisch für Menschen, die sich in einer posttraumatischen Belastungssituation befinden. Häufig leiden die Betroffenen unter Schlaf- und Konzentrationsstörungen, unter Antriebslosigkeit und depressiven Verstimmungen. »Das Erlebte rechtzeitig aufzuarbeiten, ist wichtig«, weiß Pastor Rottmann, der als stellvertretender Leiter der Notfallbegleitung Bielefeld häufig »seelische Erste Hilfe« leistet. Aber auch NOAH, die Nachsorge, Opfer- und Angehörigenhilfe des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, ist ein adäquater Ansprechpartner und unter der Hotline 0 18 88 55 04 33 zu erreichen.

Artikel vom 05.02.2005