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Die Weserrenaissance-Fassade des Grestschen Hofes, die hohen Flure und Klassenräume - eigentlich ist das Ratsgymnasium am Nebelswall der Prototyp der klassischen »Lehranstalt«. Doch hinter der historischen Fassade wehte stets ein moderner Geist, geprägt von der humanistischen Bildung im besten Wortsinne.
Für Hans-Joachim Nolting, den jetzigen Leiter, ist das Verpflichtung und Herausforderung zugleich, die Schule weiterzuentwickeln und ihr neue Impulse zu vermitteln. »Dabei dürfen wir unsere Wurzeln nicht verleugnen«, sagt er.
Aus Noltings Sicht ist es richtig, dass am »Rats«, wie die Schule seit langem nicht nur von den Pennälern genannt wird, Latein die erste Fremdsprache in der Sexta, der Klasse 5, bleibt. Mit Latein erlerne man auch das Lernen, ist er überzeugt. Es erleichtere den Deutschunterricht und den Erwerb moderner Fremdsprachen, wenn es etwa um die Vermittlung grammatischer Inhalte geht.
Gleichzeitig werde aber das Fach Englisch nicht vernachlässigt. Seit vier Jahren wird am »Rats« auch in der Sexta Englisch unterrichtet - zweistündig zunächst. Damit sei gewährleistet, dass die Kinder, die mittlerweile mit ersten Englischkenntnissen aus der Grundschule kommen, den Anschluss behielten. »In der Oberstufe führen wir Englisch-Leistungskurse gemeinsam mit dem Gymnasium am Waldhof durch«, sagt Nolting. In der Nachbarschule sei Englisch die erste Fremdsprache. »Schlechter sind unsere Schüler dennoch nicht.«
Die Schüler, die jetzt für den neuen fünften Jahrgang angemeldet werden, werden ihr Abitur in acht Jahren machen. »Das führt zu einer Verdichtung des Schulalltags«, sagt Nolting. Die Schüler würden es an längeren Stundenplänen spüren. Viele Jahre sei diese Angelegenheit hin und her diskutiert worden. »Die PISA-Studie hat wohl den Ausschlag gegeben.« Grundsätzlich steht er dem Vorhaben optimistisch gegenüber. Wer aber glaube, nur die reine Verkürzung bringe den Fortschritt, habe auch zu kurz gedacht, meint der Pädagoge. Der zu vermittelnde Unterrichtsstoff werde nicht weniger. Es müsse die richtige Mischung gefunden werden, diesen auch konzentriert darzubringen.
Dass eine Traditionsschule wie das »Rats« sich schnell einen bestimmten Ruf erwirbt, weiß auch Nolting. Doch das Etikett, eine Schule für Kinder der Besserverdiener zu sein, weist er zurück: »Da gehen Image und Wirklichkeit auseinander.« Richtig sei aber, dass sich die Eltern bewusst für das Ratsgymnasium entschieden - wegen des ihm eigenen Profils.
Dazu gehöre nicht nur der Lateinstart in der Sexta. »Wir bemühen uns, den Klassenverbänden einen besonderen Zusammenhalt zu geben«, erläutert Nolting. Dieses Ziel soll nicht zuletzt dadurch erreicht werden, dass alle Ratsgymnasiasten in den ersten vier Jahrgängen drei jeweils zweiwöchige Aufenthalte im schuleigenen Heim auf der Insel Langeoog verbringen. »So etwa schweißt zusammen«, ist der Direktor überzeugt.
Den Schülerinnen und Schülern soll auch das Besondere an der deutschen Geschichte bewusst gemacht werden. Während der obligatorischen religiösen Studientage am Ende der Mittelstufe besuchen die Jugendlichen Weimar und dort nicht nur die Stätten der deutschen Klassik, sondern auch das nahe gelegene Konzentrationslager Buchenwald.
All das sind gute Traditionen, die Nolting bereits vorgefunden oder in den vergangenen Jahren weiter entwickelt hat. Künftig will er zusätzliche Akzente setzen. Dabei vermittelt der neue Direktor des Ratsgymnasiums einen zielstrebigen Eindruck: Hans-Joachim Nolting ist einer, der weiß, was er will. Und einer, der bereits früh in seiner beruflichen Laufbahn auf einem Direktorensessel Platz nehmen konnte - heutzutage keine Selbstverständlichkeit. Das gibt ihm Zeit, Bielefelds älteste Schule nachhaltig zu prägen.

Artikel vom 05.02.2005