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Aber es gab keinen Zweifel: Abgesehen von den Verschmutzungen und der störenden Verschleierung der Brusthälfte und des Schoßes war das Gemälde von umwerfender Qualität. Die unglaubwürdige Verschleierung irritierte allerdings, aber für diese konnte vielleicht eine Erklärung gefunden werden. War es tatsächlich möglich, fragte er sich, dass dieses Gemälde ein Original von Velázquez war? Na ja, undenkbar war es nicht. Und von einer elektrisierenden Erotik war es auch. Es war verrückt, sich vorzustellen, dass man tatsächlich der erste Mensch war, der bei vollem Bewusstsein realisierte, dass dieses vollkommen unbekannte Werk ein echter Velázquez sein musste! Aber so hatte er gemalt É
»Wie kam es zu der Zuschreibung an Velázquez?«, fragte er.
»Sehen Sie diese Notiz«, Livia reichte ihm einen Zettel, auf dem eine altertümliche Aufschrift nachgezeichnet war. Diego de Silva y Velázquez de la camera di S. Mta Cattca, las Duncan. Und darunter, kaum zu entziffern: Por Flaminia.
»Das stand so in schwarzer Schrift auf der Rückseite der Originalleinwand und wurde sichtbar, als der Restaurator die alte Dublierung entfernte. Mein Mann hat es abgeschrieben.«
Duncan rieb sich das Kinn. »Wenn das alles echt ist, haben wir damit eine sehr gute Basis. Es ähnelt tatsächlich der Signatur auf VelázquezÕ Bildnis von Papst Innozenz X., das er auf seiner Italienreise um sechzehnhundertfünfzig in Rom angefertigt hat.«
Livia rückte mit dem Stuhl näher heran. »ÝVelázquezÜ verstehe ich noch, aber was soll das mit der ÝcameraÜ?«
»Das sind Abkürzungen, wie sie in den vergangenen Jahrhunderten jeder verstand.« Duncan rieb sein markantes Kinn, dann überstrahlte ein gewinnendes Lächeln sein Gesicht. »VelázquezÕ Karriere am Hofe Philipps IV. lässt sich besonders gut an seinen Ämtern und seinen erworbenen Titeln ablesen. Am Anfang stand seine Anstellung als Pintor del Rey, als ÝMaler des KönigsÜ. Danach erhielt er die Berufung zum ÝPlatzanweiser der KammerÜ dann zum ÝGehilfen der GarderobeÜ. Alles ehrbare Titel! Schon wenige Jahre darauf erhielt er die bedeutsame Beförderung zum ÝAssistenten der PrivatkammerÜ und durfte mit Ayuda de Cámera signieren. Das war 1643. Dieser Titel wurde nur noch übertroffen durch die 1652 erfolgte Bestallung als Aposentador de Palacio, Oberhofmarschall der königlichen Paläste. Das grenzt den Zeitraum für die Signatur ziemlich genau ein.«
Livia sah ihn staunend an. Duncan wedelte mit dem Zettel. »Hier handelt es sich um die cámera di Sua Majesta Cattólica. Das Wort, das auf Ihrem Aufkleber nach dem Namen Velázquez fehlt, heißt ayuda.«
»Respekt! Sie scheinen wirklich etwas davon zu verstehen«, strahlte Livia.
»Es fehlt übrigens auch auf dem erwähnten Papstbildnis von 1650«, fuhr Duncan fort. »Aber es ist ausgeschrieben in dem Buchtext, der die Aufnahme des Malers in die römische Accademia di San Luca festhält. Mit ihm zusammen bedeuten die nachfolgenden Abkürzungen: Kammeradjutant Seiner Katholischen Majestät. Das war VelázquezÕ höfischer Titel.«
»Bravo!«, rief Livia. Ihre Augen glänzten. Sie hatte Zutrauen gefasst. »Mister Munro! Das Rätsel haben Sie überzeugend gelöst.« Sie deutete auf die letzte Zeile. »Und was bedeutet das?«
Duncan runzelte die Stirn. »Schwer zu sagen. Vielleicht der Name einer Frau? Der Auftraggeberin - oder der Dargestellten?«
Als er nichts weiter dazu ausführte, meinte Livia: »Wie dem auch sei, die Inschrift zeigt jedenfalls, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden.«
»Ja, das denke ich auch! Nun ist sie also eine siegreiche Venus, die von Paris den Apfel gewinnt.«
»É und befindet sich hoffentlich auf dem besten Weg, als ein Original von Velázquez anerkannt zu werden.«
»Wenn sie allen meinen Überprüfungen standhält É«
»Kein Mann wird ihr standhalten. Glauben Sie mir!« Livia erhob sich von ihrem Stuhl. »Mister Munro! Ist das nicht ein Glas Prosecco wert?«
»Ist es!«
Livia winkte dem Serviermädchen.
Als sie die Gläser erhoben, um anzustoßen, sagte Livia: »Ohne Ceres und Bacchus friert VelázquezÕ Venus! Und ohne Duncan Munro!«
»Zuviel der Ehre, Signora Vasari. Doch ich bin sehr dafür, dass wir sie aus dem Dunkel an die wärmende Sonne bringen.«
»Aber sagen Sie doch Livia zu mir.«
Es war ein seltsam anrührender Moment. Aus der Eingangshalle drang As Tears Go By. Das ergreifende, Whisky und Zigaretten atmende Timbre von Marianne Faithfull passte zwar so gar nicht zu der Stimmung des gleißenden Sonnentages, doch die Reibeisenstimme ging ins Blut und ließ auch in Asolo an das Swinging London zwischen Rockern, Gammlern und Beatniks denken. Sie nippten an ihren Gläsern und vermieden es, sich gegenseitig anzusehen. So blickten sie über die Dächer von Asolo und spürten, wie die Sonne den Ort langsam aufheizte. Bald würden die Häuser in der Hitze schwimmen.
Ein Pulk Menschen näherte sich. Durstige Touristen stürmten kurz darauf die Terrasse und umdrängten die Tische. Mit Ruhe und Muße war es vorbei.
»Verspüren sie Lust auf Bewegung?«, fragte Duncan.
»Wohin?«
»Oben auf der Burg dürfte es noch etwas luftiger sein. Allerdings sind einige Höhenmeter zu überwinden.«
Livia nahm die Herausforderung an. »Haben Sie nichts Leichteres anzuziehen? Sie werden sich sonst totschwitzen.«
»Sie haben Recht. Ich werde morgen versuchen, etwas Sommerliches zu bekommen.«
Livia musterte ihn. »In Padua bekommen Sie flotte Sachen, die Ihnen sicher gut zu Gesicht stehen. Ich gebe Ihnen später die Adresse.«
»Fein. Inzwischen werde ich mich des Sakkos entledigen.«
»Ja, tun Sie das, und ich werde meine Tasche an der Rezeption abgeben. Dann können wir gehen.«
Breite Holzschwellen waren in den ansteigenden Bergweg eingelegt. Sie waren flacher als Treppenstufen und ließen sich mit behändem Schritt überwinden. Duncan brauchte einige Wegbiegungen, um das Tempo seiner Schritte dem Livias anzupassen. Sie redeten über italienisches Essen, italienische Weine, schottischen Whisky und englische Rockgruppen. Trotz des lockeren Gesprächs war anfangs eine gewisse Scheu zwischen ihnen - eine Distanz, die er nicht definieren konnte. So eilte er ein wenig voraus, um die Aussicht zu erkunden. Kurz danach kam er ihr lässig und lachend wieder entgegen.
Livia war stehen geblieben und beobachtete, wie er näher kam. Ein gelassener Typ, mit langen Beinen und einem knackigen Hinterteil, dachte sie sich. Schlank und mit heller Haut. Wahrscheinlich hatte er einen kupferfarbenen Flaum auf den Oberarmen und auf der Brust. Das wiederholte Zurückschieben seiner Haartolle verriet zudem Eitelkeit. Ein außergewöhnlicher Mann.
Duncan war bis auf zwei Schritte herangekommen. Der letzte Schwung seines Schrittes wurde von den knirschenden Steinen des Wanderwegs aufgefangen. »Das ist ja eine mächtige Burganlage mit einem ungeheuren Panoramablick!«
»Unsere Rocca ist uralt. Sie war schon da, als die Römer kamen«, sagte Livia stolz.
Duncan schnaufte noch und wies dann auf die wuchtige Mauer oberhalb des Wegs. »Man kommt schon zu Fuß ganz außer Atem, aber wenn ich denke, wer die riesigen Steinblöcke hier heraufgerollt hat É«
»Das waren die Zyklopen, schreckliche Riesen mit nur einem Auge mitten in der Stirn«, sagte Livia dramatisch, sodass Duncan sie amüsiert ansah. »Gibt es in Schottland auch solch mächtige Felsenburgen?«
»Aber ja doch! Die wildesten mit den allerdicksten Mauern stehen bei uns in den Highlands«, sagte Duncan selbstbewusst.
»Aber Sie wohnen doch auf einer Insel, wo nicht so viele Völkerschaften hin- und hergezogen sind wie hier«, wandte Livia ein.
»Es hat genügend Tote zwischen Kelten und Römern, zwischen Anglo-Sachsen und Normannen, zwischen Schotten und Engländern gegeben und vor allem zwischen den einzelnen schottischen Clans. Jeder Krieg ist schrecklich genug. In Schottland allerdings reichten die Kriege besonders weit.«
»Warum das?«
»Durch den natürlichen Mangel in diesen kargen, felsigen Regionen bekamen sie immer sehr lange Arme. Noch lange, nachdem sie vorbei waren, holten sie sich ihre Opfer. Kriege in den Highlands bedeuteten immer einen besonders schweren Verrat an der Zivilisation.«
»Wie karg sind denn die Highlands?«
»Das Galoppieren der Pferde ist weithin zu hören. Wenn eines zu hart geritten wurde, habe ich es über Meilen gehört.«
»Sie machen Scherze!«
Duncan sah sie auffordernd an. »Na ja, die wirklich dunklen Zeiten sind wohl vorüber. Sie müssen unbedingt mal nach Schottland reisen, wo Lochs, Felsenlandschaften und herrliche Meeresbuchten fantastische Kulissen für graue Steinburgen abgeben.«
»Das klingt gut. Vielleicht begrüßen Sie mich dann in so einem schottischen Rock?«, lachte sie vergnügt.
»Kilt heißt das«, sage Duncan. »Im Mondlicht, so sagt man, wirkt dieses Bekleidungsstück bei Männern sehr aufregend.«
»Ach ja? Ich kann mir das an Ihnen gut vorstellen! Mit strammen Waden und weißen Strümpfen É«
»Nicht alles ist eine Augenweide. Dass oft genug auch knorrige und fleischige Knie zum Vorschein kommen, stört bei uns niemand. Die schottischen Männer sehen zwar manchmal aus wie alte Eichen, doch die gemeinsame Entblößung in der gemeinsamen Umhüllung schweißt einfach zusammen. (wird fortgesetzt)

Artikel vom 08.02.2005