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Politisches Kabarett mit Tiefgang

Pispers' Gastspiel im Ringlokschuppen

Von Thomas Albertsen (Text)
und Carsten Borgmeier (Foto)
Bielefeld (WB). Würde Kabarettist Volker Pispers (»Ich war nie eine Blockflöte, immer eine Querflöte«) etwa zehn Prozent seines humoristisch-intellektuellen Potenzials abgeben und nach dem Gießkannenprinzip über die gesamte deutsche Comedyszene verteilen, ließe sich deren Niveau mit einem Schlag um 100 Prozent steigern.

Es stimmt in diesem Zusammenhang durchaus optimistisch, dass Pispers' Bielefelder Gastspiel im Ringlokschuppen ausverkauft war -Êim Gegensatz zu unüberhörbaren Unkenrufen hat das anspruchsvolle politische Kabarett doch noch einen festen Stand gegenüber der Gilde der Blödler, Dummschwätzer und Zotenreißer. »Damit das Lachen bitter ist, muss Kabarett geschmacklos sein«, brach er zwar eine Lanze für deftige Formulierungen, doch selbst im großen Zorn auf George W. Bush, Gerhard Schröder und Angela Merkel hatte seine harte, gleichwohl geschliffen formulierte Analyse nichts wirklich Beleidigendes, sondern rief Betroffenheit hervor.
Mit dem verbalen Skalpell sezierte Pispers in seinem fast dreistündigen Programm nicht nur die deutsche Befindlichkeit (»Kann es einem Land, in dem die Bevölkerung noch Geld übrig hat, um Bücher von Dieter Bohlen zu kaufen, wirklich schlecht gehen?«), schrieb deutschen Spitzenpolitikern aller Parteien unbequemste Wahrheiten ins Stammbuch und knöpfte sich nebenher auch noch die ebenso fundamentalistische wie rücksichtslos eigene Interessen vertretende US-Politik vor. Wofür ein Michael Moore drei Bücher und einen Film benötigte, das erledigte Pispers in nicht einmal zehn Minuten: Er erklärte dem staunenden Publikum, wie die USA den Iran und den Irak aufgerüstet haben - und dass selbst Osama bin Laden sich nur mit CIA-Hilfe zu einem gefährlich hochgerüsteten Terroristen entwickeln konnte. Zum Lachen? Pispers verzichtet zugunsten der Analyse auf die vordergründige Pointe, entlarvt lieber den ganz normalen Irrsinn politischen und gesellschaftlichen Handelns. Auf einmal kommt heraus, dass VW und Siemens mehr Abgeordnete in deutschen Parlamenten haben als die PDS -Êund die Zuhörer müssen erkennen: »Wenn Schröder und Merkel sagen, etwas sei gut für Deutschland, dann sind niemals Sie gemeint.«
Natürlich bekommen die Spitzenpolitiker aller Parteien ihr Fett weg, aber Pispers geht in seinem Programm »Bis neulich...« viel tiefer. Investmentbanker, Aktienanalysten und Unternehmensberater verdienten mit miserabler Arbeit Millionen und trieben die Wirtschaft nachweislich in den Ruin, während so wichtige Berufe wie Krankenschwestern, Altenpfleger, Lehrer und Polizisten unterbezahlt seien. Volker Pispers gehört eindeutig zu den Kabarettisten, von denen man sich wünscht, sie würden nicht nur über Politik sprechen, sondern sie auch selbst gestalten!

Artikel vom 05.02.2005