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Die Rechte machte ihn unsterblich

Im Bruchteil einer Sekunde begann für »Mäkki« eine neue Zeitrechnung

Von Oliver Kreth
Hollenstedt (WB). Auch 70 Jahre danach ist man sich unter echten Kerlen noch immer einig: »What a right hand«. Mit dieser Rechten wurde Max Schmeling zum Idol. Nicht nur in Deutschland und den Vereinigten Staaten.

Dazu kamen noch seine Tugenden Leistung, Sportsgeist, Fair Play, Ehrlichkeit und Zielstrebigkeit. Aber unsterblich gemacht hat ihn seine rechte Hand, die Berühmten, die Ruhmreiche. In ihrer kompaktesten und wirksamsten Form als bandagierte Faust und in ihrer effektivsten Anwendung, gerade geschlagen und kurz angesetzt, hat sie am 19. Juni 1936 an der Kinnspitze von Joe Louis in New York ihr Wunder vollbracht.
Mit einem Schlag wurde Schmeling zum Star. Aber natürlich lag in diesem Schlag alle Erfahrung, alle Entbehrung, die radikale Ruhe eines selbstsicheren (»I zee zumting« hatte er in seinem Akzent-Englisch vor dem Kampf gemurmelt), zum Absoluten entschlossenen Athleten. Dieser Schlag war die Summe seiner bisherigen Boxerfahrung. Ausgeführt in Vollendung. Mit dem Instinkt für Millimeterarbeit und Timing. Das alles dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde. Doch für das deutsche Schwergewicht begann danach eine andere Zeitrechnung. Die Zeitrechnung der Unsterblichkeit.
Der junge, afro-amerikanische Boxer musste in der 12. Runde erkennen, dass Genie nicht alles ist. Getroffen von Schmelings Hand knickte er weg und wurde ausgezählt. Es war zwar kein WM-Kampf, aber neben der Bitterkeit einer nationalen Niederlage würgte viele in diesem Jahr eine quälende Angst. Die vor dem rücksichts- und mitleidlosen Regime des Nationalsozialismus. Dabei hatten wir es damals nicht mit dem Sieg der arischen Rasse zu tun, sondern mit der einsamen Klasse eines deutschen Schwergewichtsboxers, der zwar im Krieg als Fallschirmspringer für sein Heimatland kämpfte, aber auch gegen das faschistische System wichtige Treffer landete.
Zwei Jahre später trat Schmeling zum Rückkampf gegen Louis an, der inzwischen Weltmeister geworden war. Die Zuschauer hatten es sich noch nicht richtig auf ihren Plätzen bequem eingerichtet, da lag Schmeling schon flach. Und seine Ecke warf das Handtuch. Laut einer Meldung der New York Times wird dieses Handtuch im Nationalmuseum der Amerikanischen Geschichte als Kultgegenstand ausgestellt.
Geschadet hat Schmeling diese Niederlage nicht. Nicht im Ansehen der Deutschen, nicht in dem der US-Amerikaner. Auch die schätzten und schätzen den großen Kämpfer und guten Menschen.
Dessen Leben ging auch nach seinem Abschied aus dem Profiboxring regenbogenhaft weiter. Sein Lebens- und Liebesglück märchenhaft. Es lässt sich auf die Formel eines alten Ufa-Schlagers bringen: »Mit dem Glück auf du und du.«
Denn während der Zeit, in der er im Ring harte Kerle verhaute, lernte er abseits des Ringgevierts eine zarte, schöne Frau kennen. Anny Ondra, Filmschauspielerin, eine Tschechin aus Prag. Die Beiden führten seit dem 6. Juli 1933 das, was man eine Musterehe nennt. Überschattet wurde sie »nur« von einer Fehlgeburt im Jahr 1936. »Geschieden« wurde die Beziehung durch Ondras Tod am 28. Februar 1987.
Auch im Geschäft landete »Mäkki« (so nannte Anny ihren Mann) nur Volltreffer. Um ihn gab es keine Tragödien wie um den armen, kranken Louis, keine Drogen wie bei Liston, kein Ende im Suff wie bei Turpin, keine Schiebereien wie bei Braddock. Schmeling ging weiter seinen geraden Weg. Er vertrieb die »Muttermilch« der USA (Coca-Cola) und genoss von diesem Getränk bis zuletzt reichlich selbst.
Seit dem Tod seiner geliebten Frau hatte der deutsche Jahrhundertsportler sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Für dieses Jahr hatte er allerdings noch zwei öffentliche Auftritte geplant. Und seinen 100ten wollte er unbedingt noch feiern. Diesmal nicht so klein wie seinen 90ten und 95ten. Doch dem Tod konnte der 99-Jährige nicht mehr so elegant wie einst den Schlägen seines späteren Freundes Joe Louis ausweichen.
Überall auf der Welt werden die Menschen jetzt um das deutsche Sportidol trauern. Nicht nur in schummrigen Bars und an den Boxringen, wo man sich immer noch zuraunt: »Was für eine Rechte« oder »Was für ein Mann«.

Artikel vom 05.02.2005