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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


Tünnes erzählt Schäl, er habe geträumt, daß er in den Himmel gekommen sei. Als Kölsche Jung, dem es an Selbstbewußtsein nicht mangelt, wird er natürlich sofort von Gottvater höchstpersönlich empfangen. Seine Umgangsformen sind etwas vergilbt, und so stellt er sich mit leichter Verbeugung und steifer Anrede vor: »Jestatten Se: Tünnes.« Der erwidert voll väterlicher Milde: »Leeve Jott.«
Wie wichtig der liebe Gott diese Audienz nimmt, muß Tünnes sofort spontan erfaßt haben. Der beläßt es nämlich nicht bei einem warmen Händedruck, sondern: »Dä leeven Jott ließ sich sojlich in en Jespräch mit mer en. - Da sagte ich zum leeven Jott ...«
Tünnes ergreift als erster das Wort, weil Gott offensichtlich nicht abwarten kann zu erfahren, was er Bedeutendes zu sagen hat. Das erlaubt ihm auch, sogleich zum vertraulichen Du überzugehen. »Also, da sagte ich zum leeven Jott: âWieviel sinn für Dich eijentlich dausend Johr?« - »E Minütche.« - »Wieviel sinn für Dich denn eÕne Millijon Mark?« - »Och, ne Jrosche.« - »Lieh mer ens ne Jrosche!« - »Wath ens e Minütche!«
Tünnes feiert mit Sicherheit auch gern Karneval. Aus dieser Quelle - Hintergrund seines Traums - wußte er: »Wir kommen alle, alle in den Himmel, weil wir so brav sind, weil wir so brav sind.« Und wenn wir mal nicht so brav sind, ist das auch nicht weiter schlimm; denn dann drückt der liebe Gott schon mal gern ein Auge zu. Daher konnte Tünnes mit dem gleichen Brustton der Überzeugung singen: »Wir sind alle kleine Sünderlein, Ôs war immer so, Ôs war immer so.«
Vor allem kann man mit dem lieben Gott wie mit einem richtigen Kumpel reden, auf gut deutsch, schnörkellos, in gleicher Augenhöhe. Gott spricht sogar kölschen Dialekt - für Tünnes nicht weiter verwunderlich.
Wer von Gott etwas will, legt sich freilich seine Vorgehensweise und Taktik am besten vorher sehr genau zurecht. Und das tut Tünnes. Er spricht ihn nämlich auf das Problem der Zeit an, auf das Philosophen, Theologen und auch Naturwissenschaftler wie der gerade gefeierte Albert Einstein viel Gedankenschweiß verwendet und worüber sie dicke Bücher geschrieben haben. »Wieviel sinn für Dich eijentlich dausend Johr?« Doch warum das so ist, daß vor Gott tausend Jahre nur eine Minute sein soll, will er gar nicht mehr wissen. Dafür kommt das alte Schlitzohr lieber gleich zur Sache. Denn wenn im Himmel alles ins Unendliche gesteigert ist, muß das fürs liebe Geld eben auch gelten. Eine Million Mark - wieviel Gläser Kölsch kann man sich davon gönnen? - kann dann für Gott eben auch nur ein mickriges Trinkgeld sein. Und genauso ist es.
Daher müßte Gott den Wink verstehen und ohne Aufhebens das Portemonnaie zücken. Der liebe Gott hat seinen Pappenheimer natürlich längst durchschaut. Trotzdem tadelt er ihn nicht, weil er noch zu viel peinliche Reste an irdische Gesinnung in den Himmel mitgeschleppt hat, sondern macht sein Spielchen mit. Er begibt sich auf seine Ebene und kommt von sich aus mit ihm auf Augenhöhe. Dabei entlarvt er den alten Gauner aber mit seinen eigenen Mitteln und schlägt ihn mit seinen eigenen Waffen: »Wath ens e Minütche!«
Aber offensichtlich war dies die einzig richtige Methode, um einem Tünnes - und ihrer gibt es viele - verständlich zu machen, daß »im Himmel« eben doch alles anders ist als auf der Erde - kein ins Unendliche verlängerter Glückstraum. Gott hat nämlich mit unseren menschlichen Wunschprojektionen herzlich wenig zu tun hat. Das muß Tünnes begriffen haben, sonst hätte er seinen Traum wohl für sich behalten und ihn seinem Freund Schäl nicht erzählt. Es macht ihn aber sympathisch, daß er das doch getan hat. Denn er ist demütig genug, die Überlegenheit Gottes auch in Kleinigkeiten anzuerkennen.

Artikel vom 05.02.2005