04.02.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Sogar Terroristen erhielten Visa

Russischer Geheimdienst warnte - dennoch Einreise nach Deutschland

Berlin (ddp). In der Visa-Affäre um Ex-Außenamtsstaatsminister Ludger Volmer (Grüne) sind neue Sicherheitspannen bekannt geworden.

Wegen des so genannten Volmer-Erlasses, der deutlich weniger Kontrollen bei der Visa-Vergabe vorsah, konnten nach Informationen der »Bild«-Zeitung offenbar auch Terroristen ungehindert nach Deutschland einreisen.
In einem Brief vom 12. März 2003 an das Bundesinnenministerium schildere der Vizepräsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Bernhard Falk, einen brisanten Fall: Demnach erhielten zwei Tschetschenen mehrfach Deutschland-Visa, zuletzt im Juli 2002.
Dabei hatte der russische Geheimdienst vor den Brüdern gewarnt, wie das Blatt weiter schreibt. Sie seien Mitglieder einer Terrorbande, die einen großen Anschlag in Moskau plane. Tatsächlich waren die Tschetschenen an der Geiselnahme im Moskauer Nord-Ost-Theater im Oktober 2002 beteiligt, bei der 159 Menschen getötet wurden. Die Terroristen galten laut BKA als »Waffenbrüder« der »arabischen Mujaheddin«, die »enge Kontakte zu Terrorchef Osama Bin Laden« unterhielten. Trotz der Panne blieb der »Volmer-Erlass« bis Ende Oktober 2004 in Kraft.
Offen bleibt, warum die Tschetschenen trotz des Terrorverdachts von der russischen Seite unbehelligt blieben und sich frei bewegen konnten. Ihre Visa hatten die beiden Brüder nach vorliegenden Informationen über den Russischen Sportverband beantragt. Die kriegszerstörte Kaukkasusrepublik Tschetschenien ist Teil der Russischen Föderation. Wollen russische Staatsbürger ins Ausland reisen, so benötigen sie dafür einen von den Melderämtern ausgestellten Reisepass.
Der Fall der beiden Tschetschenen dürfte auch den Visa-Untersuchungsausschuss des Bundestages beschäftigen. Das von der Union durchgesetzte Gremium will aufklären, ob die rot-grüne Bundesregierung durch die zeitweilige Liberalisierung der Visa-Praxis massenhaft Schleusertum, Menschenhandel und Zwangsprostution gefördert hat.
Nach Informationen der »Rheinischen Post« ist ein hoher Beamter des Bundesinnenministeriums, gegen den die Staatsanwaltschaft in der Visa-Affäre wegen Bestechlichkeit ermittelt, versetzt worden. »Er arbeitet in einer anderen Abteilung«, sagte Ministeriumssprecher Rainer Lingenthal dem Blatt. Der Beamte sei aber nicht vom Dienst suspendiert.
Zugleich attackierte Lingenthal die Ermittler: »Der Angeschuldigte wird von der Staatsanwaltschaft ständig öffentlich an den Pranger gestellt, ohne dass ihm gesagt wird, worin der konkrete Vorwurf bestehen soll.«
CSU-Generalsekretär Markus Söder wirft Volmer derweil vor, der Grüne sei ein »virtueller Komplize von Schleusern, der geholfen hat, vorsätzlich Schwerstkriminelle nach Deutschland zu lotsen«. Söder verlangte in der Tageszeitung »Die Welt«, auch das letzte Detail der Visum-Affäre müsse so rasch wie möglich aufgeklärt werden, besonders die Verquickung von Abgeordneten- und Lobby-Arbeit. Dazu gehöre auch die Rolle von Außenminister Joschka Fischer (Grüne). Söder warf der Bundesregierung vor, die Aufklärung der Affäre zu verzögern, »um sich über die Wahlen in Schleswig-Holstein zu retten«.
Das Auswärtige Amt hat Vorwürfe im Zusammenhang mit Sicherheitspannen bei der Visa-Vergabe an zwei Tschetschenen zurückgewiesen. Die Anträge der Brüder seien umfassend geprüft und alle Sicherheitsabfragen durchgeführt worden, sagte Außenamts-Sprecher Walter Lindner gestern.Seite 4: Kommentar

Artikel vom 04.02.2005