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Sozialarbeit zwischen
Kontrolle und Hilfe

Bewährungshilfe steht vor dem 50. Geburtstag

Von Uwe Koch
Bielefeld (WB). Ausgebildet sind sie als Sozialarbeiter, als Beamte unterstehen sie dem Staat und verpflichtet sind sie den Gerichten, doch ihre Arbeit gilt den Straffälligen: »Bewährungshelfer stehen im Spannungsfeld zwischen Kontrolle und Hilfe«, sagt Wolfgang Rippe stellvertretend für alle Kollegen.

Ihr Berufsstand feiert in wenigen Wochen einen runden Geburtstag, denn die Bewährungshilfe im Landgerichtsbezirk Bielefeld begeht das 50. Jahr ihres Bestehens. Gefeiert wird am 6. April mit einem Festakt im Rathaus.
Die Strafaussetzung zur Bewährung, das ist eigentlich eine angelsächsische Erfindung. Nach der Hitler-Diktatur übernahm die deutsche Justiz den kompletten oder zumindest teilweisen Verzicht auf eine Rechtsfolge. In den englischsprachigen Ländern wurde dieses Prinzip schon im 19. Jahrhundert erprobt. In Deutschland bot das Jugendgerichtsgesetz von 1923 erstmals die Chance, Strafen »auf Probe auszusetzen«. Die Kontrolle übten die Jugendämter aus. Diese Liberalisierung des Strafrechts wurde allerdings von den Nazis kassiert.
Nach dem 2. Weltkrieg sorgten die alliierten Besatzungsstreitkräfte auch in der Justiz für Neuerungen. So wurde das Element der Bewährung in das Strafrecht eingeführt, nach und nach entstanden Bewährungshilfen, die zunächst als Vereine organisiert waren. Am 15. März 1955 nahm schließlich auch der Bielefelder Reinhard Plitt als erster Bewährungshelfer im Landgerichtsbezirk Bielefeld seine Arbeit auf.
Im folgten bis 1960 die Besetzung der Dienststellen in Minden (1956), Herford (1959) und Gütersloh (1960). Bei dieser räumlichen Konstellation ist es bis heute geblieben. Nahezu identisch sind auch die Grundlagen der Arbeit, die Realität indes misst sich an im Laufe der vergangenen fünf Jahrzehnte gewandelten Bedingungen. 48 Bewährungshelfer verrichten im Bezirk ihren stressigen Dienst und sie haben, hat Koordinatorin Magdalena Falk aufgelistet, zum Stichtag 1. Januar 2005 insgesamt 3 205 »Probanden« betreut. Allein das Verhältnis zwischen 13 227 Strafgefangenen und 46 788 Personen »auf Bewährung« in Nordrhein-Westfalen spricht eine deutliche Sprache. »Doch die soziale Arbeit«, so relativiert Marita Müller-Fries, »lässt sich doch nur schwer in Zahlen messen.« Zum Beweis: In 2003 wurden 69 Prozent aller Strafaussetzungen zur Bewährung erfolgreich abgeschlossen; nur 31 Prozent der Straftäter mussten ihre Strafe nach einem Widerruf der Bewährung auch absitzen. Wenn zudem noch das Rechenexempel blanker Kosten aufgestellt wird, klingt bei der Bewährungshelfern auch etwas rechtfertigender Stolz für die eigene Arbeit mit: »Ein Strafgefangener kostet 89,90 Euro pro Tag, die Bewährungsaufsicht jedoch nur fünf Euro«, erklärt Magdalena Falk.
Den Leerraum der Statistiken füllen Bewährungshelfer jedoch mit einem Engagement, das oft an eine Sisyphusarbeit denken lässt. Auf einem Markt mit fünf Millionen Erwerbslosen ist Bewährungshäftlingen nur schwer, wenn überhaupt ein Job zu vermitteln. Überbetriebliche Maßnahmen bei freien Trägern sind auch in Bielefeld die Ausnahme geworden. »Viele haben keine Wohnung, ihnen fehlen soziale Kontakte«, sagt Wolfgang Rippe. Legale Drogen wie Alkohol oder illegale Betäubungsmittel sind eine weitere Belastung. Von den Problemen der Migranten ganz zu schweigen: Besonders straffällige Personen aus der Russischen Förderation ist das System der Bewährungshilfe weder verständlich noch akzeptabel zu unterbreiten.
Zudem verlangen Richter lückenlos Berichte über das Verhalten der Schützlinge während der Bewährungszeit, die ja in einem Urteil ebenso wie die Bewährungsauflagen festgelegt ist. Ergo: »Der Bürokram frisst uns auf«, klagt Marita Müller-Fries. Abhilfe soll die EDV schaffen, die noch in diesem Jahr endlich auch bei der Bewährungshilfe Einzug halten soll. - Dabei bleibt der Anspruch der Bewährungshelfer von den Grundsätzen der Sozialarbeit bestimmt: Den Bewährungshäfltingen eine »helfende Beziehung« aufzubauen; ihnen eine soziale und geistige Heimat fernab der Subkultur neuer Straftaten zu verschaffen. Oft limitiert sich die Arbeit auf Motivation, häufig benutzen Bewährungshelfer auch ihre eigene soziale Infrastruktur - fast immer sind Erfolge nur langfristig zu erzielen. Marita Müller-Fries: »Wir brauchen schon einen ganz langen Atem.«

Artikel vom 05.02.2005