09.02.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Maler, Zeichner, Bildhauer, Autor

Alle künstlerische Dimensionen Grass' kommen erst bei Steidl zur Geltung


Ein Buch zum Flanieren: In Günter GrassÕ »Fünf Jahrzehnte - Ein Werkstattbericht« kann man schmökernd blättern, betrachtend auf den zahlreichen großformatigen Bildseiten verweilen: Grass 1947 als Steinmetz, als Waschbrett-Percussionist 1952 in einer Studenten-Jazzband an der Kunstakademie Düsseldorf, Grass im Bundestagswahlkampf 1965 mit Willy Brandt, mit seinem Verleger Gerhard Steidl in dem Göttinger Verlagshaus bei der Arbeit, Grass in seinen Ateliers in Berlin, auf der dänischen Insel Mön, in Südportugal, in seinem Haus in Behlendorf bei Mölln, Bilder von Bronzeskulpturen des vielseitig begabten Künstlers, seitenweise Reproduktionen von Tagebuchaufzeichnung und Skizzen von seinem Calcutta-Aufenthalt 1986, die Nobelpreisverleihung 1999.... Dazu viele Gedichte und für diesen Band geschriebene autobiografische Texte, in denen der Autor Rückschau hält auf ein halbes Jahrhundert seines künstlerischen Schaffens.
Besonders augenfällig wird die Verzahnung der schriftstellerischen Tätigkeit mit der künstlerisch-gestaltenden. Ein Thema - beispielsweise »Der Butt« - wird auch von Bildhauer Grass ausgelotet, bevor es der Romancier bearbeitet. Der Werkstattbericht dokumentiert eindrucksvoll, wie der detaillierte, zumeist grafisch ausgefeilt gestaltete Arbeitsplan das Manuskript in seinen verschiedenen Überarbeitungsschichten beeinflusst.
Ein Kunstband im wahrsten Sinne des Wortes. Meisterhaft in dem Werkstattbericht beispielsweise in satten Farben die Reproduktionen von Aquarellen aus dem ebenfalls bei Steidl 1999 erschienen Band »Mein Jahrhundert«, in denen Grass in 100 Einzelgeschichten meist aus der Perspektive derer, die Geschichte erleiden, ein vielstimmiges Mosaik dieses Jahrhunderts entwirft. Ebenfalls Ende 2004 im Steidl-Verlag herausgekommen ist die Hörbuchfassung dieser eigenwilligen Jahrhundert-Chronik. Günter Grass hatte sie zusammen mit dem befreundeten Jazz-Schlagzeuger Günter »Baby« Sommer aufgenommen. In elf Hörbildern auf zwei CD stellt diese Fassung einen gelungenen Querschnitt dieser Auseinandersetzung des Eigensinnigen mit der so konfliktträchtigen Zeitgeschichte dar.
Im Steidl-Verlag wird im Laufe der Zeit das gesamte literarische Werk des Nobelpreisträgers - gelesen von Grass selbst - in einzelnen Hörbüchern erscheinen. Es hat seinen eigenen Reiz, die Texte von dessen sehr sonorer, weicher, aber trotzdem norddeutsch-markanter Stimme vorgetragen zu hören. Deshalb war es eine gute Idee, eine drei CDs und 140 Stücke umfassende Sammlung der Gedichte von Grass aus fünfzig Jahren unter dem Titel »Lyrische Beute« aufzulegen. Sie setzt ein mit den surrealistisch anmutenden Anfängen des Autors aus dem Lyrik-Erstling »Die Vorzüge der Windhühner« (1956) und macht deutlich, wie stark das lyrische Schaffen die Produktion dieses großen Erzählers begleitet.
Ein Genuss ganz eigener Art bietet die ebenfalls 2004 im Steidl-Verlag vorgelegte CD-Einspielung eines literarisch-musikalischen Abends mit dem Titel »Des Knaben Wunderhorn«, den Günter Grass zusammen mit seiner Tochter, der Schauspielerin Helene Grass, und dem Musiker Stephan Meier 2003 im Berliner Ensemble gestaltet hatte. Macht die CD doch plausibel, wie sehr der Autor sich in seinem Werk - zum Beispiel in »Der Butt«, aus dem er ein Kapitel liest - auch von Elementen des Märchens und der Volksliteratur inspirieren lässt.
www.steidl.de

Artikel vom 09.02.2005